US-Ölreserven: O’zapft is!
Rechtzeitig zu „Thanksgiving“ morgen beschließt der US-Präsident, Joe Biden, die Freigabe von 50 Millionen Barrel Öl, um vor allem die Benzinpreise zu senken. 32 Millionen Barrel werden durch Swap-Deals mit Ölproduzenten zwischen Dezember und April 2022 freigegeben, wobei die Ölfirmen das Öl bis 2024 wieder zurück liefern müssen. 18 Mio. Barrel stammen aus vorgezogenen und bereits beschlossenen Verkäufen. Der SPR-Füllstand lag letzten Freitag bei über 600 Mio. Barrel. Dies ist ein normales Prozedere und wurde in der Höhe auch so vom Markt bereits erwartet. Allerdings ist es ein Novum, dass sich die Amerikaner mit mehreren Ölkonsumenten wie China, Indien, Japan, UK und Südkorea im Vorfeld abgestimmt haben, um konzertiert die strategischen Reserven anzuzapfen. Für die USA gilt es die hohe Inflation zu bekämpfen. Hier stehen auch weitere Instrumente, wie ein Stopp der US-Ölexporte oder eine geringere „Bio-Beimischung“ bei einigen Kraftstoffen zur Verfügung. Ersteres würde die Handelsbeziehungen aber extrem stören und zu hohen Kollateralschäden führen. Ähnlich verhält es sich mit einer möglichen Scharfschaltung des NOPEC-Acts (No Oil Producing and Exporting Cartels), welches kartellrechtliche Maßnahmen gegen die Opec prüfen und einleiten würde. Das halten wir aber eher für unwahrscheinlich.
Obwohl die anderen genannten Länder in einem viel geringeren Umfang (bisher bekannt: UK = 1,5 MB; Indien = 4 MB) Öl freigeben werden, dürfte die Formation der Willigen auf der Nachfrageseite der Opec+ nicht gefallen - erst recht nicht dem saudischen Ölminister Prinz Abdulaziz bin Salman. Schon Anfang Dezember (2. Dez.) trifft sich das erweiterte Ölkartell. Es ist aufgrund der neuen SPR-Gemengelage nun durchaus möglich, dass die geplante Erhöhung der Produktion temporär als Gegenmaßnahme ausgesetzt wird, dies könnte die Ölknappheit akut verschärfen und die Preise nochmals nach oben treiben. Öl stieg bereits wegen dieser Entwicklung an, die günstige Fahrt zum Truthahn-Essen bei der Schwiegermutter ist also noch nicht vollständig gesichert. Auf geopolitischer Ebene liefe aber ein Aussetzen der geplanten Fördererhöhung auf eine sich verschärfende Konfrontation zwischen den USA und Saudi-Arabien hinaus, die eine Entspannung auf dem Ölmarkt signifikant verlangsamen und den von uns veranschlagten Zeitraum des Preisüberschießens verlängern könnte.
Der Brent-Rohölpreis ist seit seinem Jahreshoch bei 86 USD bereits wieder auf 82 USD gefallen; zeitweise lag er sogar unter 80 USD. Hierfür zeichnen neben der konzertierten Anzapf-Aktion a) die laufende 4. Coronawelle in Europa, b) die Erwartung, dass die Nachfragedynamik in 2022 weltweit nachlässt und c) das Angebotswachstum zulegen kann verantwortlich. Alleine die SPR-Freigabe kann den Ölpreis nicht dauerhaft tieferlegen. Dies zeigt auch ein Blick in die Vergangenheit. Der letzte Präsident, der einen SPR-Release veranlasste, war Bill Clinton im Jahr 2000. Der negative Preiseffekt verpuffte seiner Zeit binnen weniger Wochen wieder. Wir sehen uns in unserer aktuellen Prognose bestätigt und gehen weiterhin davon aus, dass ein kurzfristiges positives Überschießen des Preises möglich ist. Langfristig wird sich der Knappheitsgrad jedoch wieder abbauen, sodass der Ölpreis im Jahr 2022 tiefer tendieren wird. Ein bunter Strauß an Gründen, wie die hohe OPEC-Reservekapazität, die transitorische Knappheit bei Gas und ein nachlassender Post-Corona-Boom, sprechen aus fundamentaler Sicht hierfür. Als „Wildcard“ für tiefere Ölpreise könnten sich 2022 auch die zurückkommenden iranischen Öl-Barrel erweisen. In puncto Atomabkommen wird zwischen dem Iran und der EU zumindest wieder verhandelt.
-- Gabor Vogel