Gold vs. Silber: Zwei Edelmetalle, zwei Narrative
Während Gold vor allem als Wertspeicher dient, wird Silber weiterhin hauptsächlich als Industrierohstoff genutzt. Dabei besteht für Anleger keine zwangsläufige „Entweder-Oder“-Frage, da beide Edelmetalle komplementäre Funktionen im Portfolio erfüllen können.

Gold und Silber zählen zu den ältesten Wertspeichern der Menschheit und haben sich über Jahrtausende hinweg sowohl kulturell als auch ökonomisch etabliert. Während Gold historisch vor allem als Symbol für Stabilität und monetäre Sicherheit galt, wurde Silber zunehmend als industriell nutzbares Edelmetall eingeordnet. Diese strukturelle Unterscheidung prägt auch den heutigen Markt.
Im Vergleich zum Silbermarkt ist der physische Goldmarkt deutlich kleiner, konzentrierter und politisch stärker aufgeladen. Die Nachfrage setzt sich zu wesentlichen Teilen aus Schmuck (40%), als Anlageinstrument (25%) und aus Zentralbankkäufen (20%) zusammen. Besonders Zentralbanken aus Schwellenländern haben ihre Goldreserven in den letzten Jahren deutlich ausgebaut. Die Motive reichen von Diversifikation bis hin zum Wunsch nach größerer Unabhängigkeit vom US-Dollar. Parallel dazu verzeichnet die Nachfrage privater Haushalte ein anhaltend hohes Niveau – nicht zuletzt als Reaktion auf geopolitische Unsicherheiten und erhöhte US-Inflationserwartungen.
Silber ist und bleibt hingegen wesentlich breiter industriell verankert. Fast 60% der Nachfrage entfallen auf Anwendungen in der Photovoltaik sowie in der Halbleiter- und Medizintechnik. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der unterstellten Konjunkturabhängigkeit von Silber ist der aktuelle Aufwärtstrend in dessen Preis umso bemerkenswerter. Einerseits könnte die aktuelle Rally darauf hindeuten, dass sich Silber in den vergangenen zwei Jahren ein Stück weit von den fundamentalen Nachfragefaktoren – zumindest vorübergehend – entkoppeln konnte. Andererseits hat sich der Anteil der für Anlagezwecke bestimmten Silbernachfrage an der Gesamtnachfrage seit 2016, mit Ausnahme eines Ausreißers im Jahr 2020, kaum verändert.
Mit Blick auf die Preisentwicklung lässt sich in der langfristigen Betrachtung bei Gold eine höhere Stabilität beobachten. So neigt Silber in Phasen rückläufiger Preise zu stärkeren Korrekturen, in Aufschwungsphasen fallen die Kursgewinne hingegen meist positiver aus als beim gelben Edelmetall. Vor diesem Hintergrund stellt sich bei der Anlageentscheidung also nicht zwangsläufig die Frage nach dem Entweder-oder. Vielmehr können beide Edelmetalle als komplementäre Bausteine in einem diversifizierten Portfolio agieren. Während Gold in Krisenzeiten Stabilität bietet, eröffnet Silber in volkswirtschaftlichen Erholungsphasen oder bei neuen technologischen Entwicklungen zusätzliches Aufwärtspotenzial – allerdings bei höherer Volatilität.
-- Thomas Kulp