Rohöl: Von Nachfragesorgen und Angebotsrisiken

Der Ölpreis entging knapp einem erneuten Tiefstand seit der US-Zolloffensive. Belastet hat diesmal die OPEC+, die trotz der niedrigen Rohölpreise mehr Öl fördern will. Dadurch könnte eine Ölschwemme drohen, die den bereits von Nachfragesorgen geplagten Ölpreis noch stärker belasten würde.
 


Der Ölpreis hat weiterhin mit fundamentalem Gegenwind zu kämpfen. Nachdem die Notierungen in den vergangenen Wochen durch globale Rezessions- und Nachfragesorgen belastet wurden, verstärkt sich der Abwärtsdruck nun zusätzlich von der Angebotsseite. Das erweiterte Ölkartell OPEC+ hat bei seinem letzten Treffen angekündigt, die Produktion im Juni, wie bereits im Mai, um mehr als 400.000 Barrel pro Tag zu erhöhen. Dies entspricht einer Verdreifachung der im aktuellen Produktionsplan vorgesehenen zusätzlichen Menge. Diese Entscheidung führte zu einem Preisverfall der europäischen Ölsorte Brent, die nur knapp einem neuen Tiefstand seit dem US-Zollpaket Anfang April entging.

 

Saudi-Arabien signalisierte weiterhin, dass in den kommenden Monaten weitere kräftige Erhöhungen folgen könnten. Sollte die expansive Politik fortgesetzt werden, könnten die Kürzungen bereits im September 2025 vollständig zurückgefahren sein. Dies würde zu einer Ölschwemme führen, die den ohnehin von Nachfragesorgen geplagten Ölpreis zusätzlich belasten könnte.

 

Der offizielle Beweggrund für die beschleunigte Ausweitung der Fördermengen ist, Druck auf Kasachstan auszuüben, das wiederholt über die vereinbarten Förderquoten des Kartells hinaus produziert hat. Dies dürfte aber nicht der einzige Grund für diesen radikalen Schritt sein. Auch politische Faktoren dürften eine Rolle spielen, da Saudi-Arabien vor dem Hintergrund der US-Atomverhandlungen mit dem Erzrivalen Iran eine Annäherung an die USA anstrebt. Der Schritt könnte daher als Entgegenkommen auf Trumps Forderungen nach niedrigeren Energiepreisen gewertet werden.

 

Die aggressive Förderpolitik der OPEC+ könnte auch darauf abzielen, Marktanteile zurückzugewinnen, die an große Fördernationen wie die USA verloren gingen. Allerdings wird dies nicht ohne negative Auswirkungen auf die Staatshaushalte der Mitgliedsländer einhergehen. Diese sind auf höhere Ölpreise angewiesen, um kostendeckend wirtschaften zu können.

 

Perspektivisch dürfte die Einigkeit unter den Mitgliedsstaaten und die Vereinbarkeit der teilweise divergierenden Ziele eine große Herausforderung für den Ölverbund bleiben. Insbesondere die Annäherungsversuche Saudi-Arabiens an die USA könnten die internen Konflikte weiter verschärfen. Darüber hinaus dürfte die aktuelle Dynamik nicht sehr nachhaltig sein, wenn sich die Nachfrageschwäche aufgrund der US-Zollpolitik kurzfristig nicht umkehrt. Vielmehr wäre zu erwarten, dass das Kartell wieder auf geringere monatliche Anhebungen umschwenkt, wenn die Notierungen dauerhaft unter 60 USD zu fallen drohen.

 

-- Linda Yu