Wasserstoff-Jahresrückblick 2024: Realitätscheck nach anfänglicher Euphorie
Das dynamische Hochfahren der (grünen) H2-Wirtschaft ist 2024 ins Stocken geraten, weil einige Marktteilnehmer aufgrund realistischerer Kostenannahmen und regulatorischer Vorgaben Projekte verschoben oder gestoppt haben. Grüner Wasserstoff wird vorerst noch teuer bleiben, aber Indien und China positionieren sich bereits für den zukünftigen Weltmarkt.
Von der ursprünglichen Wasserstoff-Euphorie ist im Jahr 2024 kaum noch etwas übriggeblieben. Mehrere Unternehmen haben aus Kostengründen ihre ursprünglich ambitionierten Ausbaupläne für das Wasserstoffgeschäft zurechtgestutzt oder überdenken es, so wie die Stahlsparte von Thyssenkrupp (das größte Dekarbonisierungsprojekt in Deutschland). Der Marktaufbau beim Wasserstoff sei gegenwärtig noch nicht zu spüren, so lautet beispielsweise die Aussage von E.ON, daher sei es fraglich, ob die Ziele innerhalb des von der Politik gesetzten Zeitrahmens noch erreicht werden können. Von den 10 GW an Elektrolysekapazität, die die Bundesregierung als Ziel für 2030 definiert hatte, sind bislang nur 0,3 GW durch eine finale Investitionsentscheidung abgesichert. Nach Ansicht der Vorsitzenden des Nationalen Wasserstoffrates, Katharina Reiche, herrscht nach einer Ankündigungswelle mittlerweile Ernüchterung. Dies liegt unter anderem an der komplizierten europäischen Regulierung, wann Wasserstoff das Label „grün“ erhält. So muss der in einer Erneuerbaren-Energie-Anlage erzeugte Strom in einem sehr engen zeitlichen Rahmen für die Elektrolyse eingesetzt werden. Dadurch würden die Volllaststunden für die H2-Erzeugung unnötig begrenzt, was die Produktionskosten erhöht und Investitionen bremst. Ein positives Signal kam von der Bundesnetzagentur, die im Oktober den Aufbau eines Wasserstoffkernnetzes genehmigte und so für Planungssicherheit sorgte.
Auch international zeigte sich in 2024, dass es einen Dämpfer beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft gab. So hat beispielsweise der norwegische Equinor-Konzern überraschend entschieden, doch keine Fernleitung für Wasserstoff nach Deutschland zu bauen und dies damit begründet, dass das Vorhaben zu teuer und die Nachfrage unzureichend sei. Nahezu zeitgleich hatte der Energiekonzern Shell seine Pläne für die Produktion von blauem Wasserstoff an der norwegischen Westküste aufgegeben. Neben regulatorischer Unsicherheit sind es die höher als zuvor erwarteten Kosten (u.a. für Elektrolyseure, Energiespeicher), die die ursprüngliche Euphorie stark gedämpft haben. Dies veranlasste die Unternehmensberatung McKinsey im September, ihren Ausblick für Wasserstoffnachfrage bis 2050 um 25% zu senken, u.a. weil die Produktionskosten für grünen Wasserstoff um 20% bis 40% gegenüber den bisherigen Annahmen gestiegen seien. Kurz vor Weihnachten veröffentlichte auch BloombergNEF neue Marktprognosen, die ebenfalls von deutlich höheren Preisen für grünen Wasserstoff bis 2050 ausgehen. Auch hier heißt es, dass die Annahmen für die Installations- und Betriebskosten von Elektrolyseuren massiv unterschätzt wurden, weil die grüne Wasserstoffproduktion nicht vergleichbar mit den Anlagen zur Herstellung erneuerbarer Energie aus Sonne und Wind sei (sondern komplexe chemische Anlagen).
Die Kosten für Elektrolyseanlagen sind in China laut BloomberNEF viermal günstiger als in der westlichen Welt, was auch Indien ab 2040 erreichen dürfte. In diesen beiden Ländern könnte der Preis von grünem Wasserstoff daraufhin erstmals das Niveau von günstigem grauem Wasserstoff aus Erdgas erreichen, was ein Meilenstein wäre. Ziel Indiens und Chinas ist es, ein wichtiger Exporteur von grünem Wasserstoff zu werden.
-- Robert Czerwensky