Robuster Welthandel? KI-Boom und Zolleffekte
Die WTO erwartet für das Jahr 2025 einen überraschend robusten Warenhandel, der von KI-Gütern sowie von vorgezogenen US-Importen (Frontloading) getragen wird. Für das Jahr 2026 trübt sich der Ausblick jedoch ein. Es wird entscheidend sein, wie nachhaltig der KI-Trend in Bezug auf Nachfrage, Engpässe, Energie, Regulierung und Produktivität ist.
Was das neue WTO Update sagt
In ihrem „Global Trade Outlook and Statistics“ vom Oktober 2025 korrigiert die Welthandelsorganisation (WTO) die Prognose für das Welthandelsvolumen für das Jahr 2025 auf 2,4% nach oben, während sie für das Jahr 2026 auf 0,5% nach unten revidiert wurde. In der ersten Jahreshälfte 2025 legte das Warenhandelsvolumen im Jahresvergleich um 4,9% zu. Dies ist ein bemerkenswerter Anstieg – insbesondere vor dem Hintergrund der bestehenden geo- und handelspolitischen Konflikte. Die Triebfedern konzentrieren sich dabei auf zwei Säulen: ein massives Frontloading in Nordamerika vor den Zollerhöhungen sowie eine hohe Nachfrage nach Produkten mit Bezug zur Künstlichen Intelligenz (KI).
Letztere gelten als wesentlicher Exportmotor: Die WTO beziffert ihren Beitrag (ca. 100 Produktlinien von Halbleitern über Server bis hin zu Telekommunikations-Equipment) auf rund 43% des globalen Welthandelswachstums in der ersten Jahreshälfte 2025. Obwohl ihr Wertanteil am globalen Handel gering ausfällt, macht sich ihr massiver Ausbau infolge des Branchenbooms signifikant in der Welthandelsstatistik bemerkbar.
Wie tragfähig ist der KI Boom?
Angesichts einer absehbar nachlassenden Wirkung des Frontloading-Effekts auf den Welthandel stellt sich die Frage, ob der Boom mit KI-Gütern nachhaltig ist und sich als zweite Exportsäule etablieren kann. Dazu gibt es im Wesentlichen fünf begrenzende Faktoren, die den weiteren Verlauf entscheidend beeinflussen werden:
1) Nachfrage nach KI-Dienstleistungen
Die Nachfrage bleibt vorerst hoch: Zwar nehmen die geplanten Investitionen in die KI-Infrastruktur und deren Nutzung bis 2026 weiter zu, allerdings mit Anzeichen moderaterer Zuwächse gegenüber 2025. Von entscheidender Bedeutung ist die Breite der „Use Cases“ jenseits des KI-Trainingsbooms, also produktive Anwendungen in Unternehmen, auf Endgeräten und in der Verwaltung.
2) Angebotsengpässe: „HBM-Speicher“ & „Advanced Packaging“
Im Jahr 2025 bremsten „HBM-Speicher“ und „Advanced Packaging“ die Auslieferungen. Damit sind besonders schnelle Speicher- und Chiptechnologien gemeint, die extrem hohe Datenraten verarbeiten können. Dies ist für KI-Modelle essenziell, da diese gleichzeitig Millionen Parameter in kurzer Zeit verarbeiten müssen. Die wichtigsten Unternehmen dieser Branche – darunter TSMC, CoWoS, Micron und Intel – melden, dass ihre Produktion an der Kapazitätsgrenze liegt. Im Jahr 2026 sollte sich die Engpasssituation jedoch etwas abmildern. Andererseits steigt mit jeder Kapazitätserweiterung auch das Risiko von Überkapazitäten, sollte die Nachfrage nicht Schritt halten.
3) Energie & Netze als harte Grenze
Die Internationale Energieagentur (IEA) erwartet, dass sich der Strombedarf von Rechenzentren bis zum Jahr 2030 auf rund 945 TWh mehr als verdoppeln wird. Die US-amerikanische Energy Information Administration (EIA) prognostiziert für die Jahre 2025/26 einen Rekordstromverbrauch in den USA. In seinem Ressourcenadäquanz-Bericht warnt das US-Energieministerium, dass das Stromnetz und die Genehmigungsverfahren mit dem Tempo der KI-Entwicklung nicht Schritt halten können. Dies birgt das Risiko höherer Strompreise und einer verzögerten Inbetriebnahme von KI-Rechenzentren.
4) Regulierung & Handelspolitik
In der EU greift seit Februar 2025 stufenweise der „AI Act“, der die Anwendung Künstlicher Intelligenz regulieren soll. Bereits im Dezember 2024 wurden durch die USA die Exportkontrollen für bestimmte KI-relevante Halbleiter nach China deutlich verschärft. Damit werden einerseits planbare Grenzen eingezogen, wie im Beispiel der EU. Es entstehen jedoch auch neue Hürden und Transaktionskosten.
5) Produktivitätsgewinne eher mittel- bis langfristig
Das Potenzial für KI-Anwendungen ist groß. Bisher ist deren Breitenwirkung jedoch noch begrenzt. In einer Analyse kommt die Boston Consulting Group (BCG) zu dem Schluss, dass es bislang nur rund 5% der Unternehmen gelingt, künstliche Intelligenz wirtschaftlich nutzbringend in ihre Geschäftsprozesse zu integrieren. Die OECD und McKinsey erwarten den starken Produktivitätseffekt eher langfristig. Die Umstellung der Unternehmensprozesse, die Umschulung der Mitarbeitenden sowie die Verbesserung der Datenqualität und der Anwendungen benötigen Zeit, um produktionsreif zu werden. Gelingt die Überführung von KI-Anwendungen aus der Experimentierphase in den Alltag, könnte jedoch eine nachhaltige Nachfrage entstehen. Negativbeispiele aus der Vergangenheit deuten jedoch darauf hin, dass dies kein zügiger Prozess sein wird.
Fazit: Was heißt das für den Welthandel 2026?
Im Jahr 2025 wird der Welthandel vor allem durch KI-bezogene Güter und vorzeitig aufgestockte US-Importe getragen – eine beachtliche, wenn auch schmale Basis. Gemäß WTO-Einschätzung zeichnet sich für das Jahr 2026 hingegen eine Abschwächung ab: Der außergewöhnliche Aufschwung flacht ab, es kommt jedoch nicht zu einem Einbruch. Der KI-Boom dürfte den Handel weiter stabilisieren, doch seine Tragfähigkeit hängt davon ab, ob produktive Anwendungen („Use Cases”) über die KI-Trainingsphase hinaus in der Breite greifen. Erst wenn Unternehmen KI wirklich gewinnbringend einsetzen, Lieferengpässe bei Speicher und Packaging beherrschbar bleiben und Energie- sowie Regulierungsfragen gelöst werden, kann sich daraus ein nachhaltiger Wachstumspfad entwickeln. Bis dahin gilt: Der KI-Trend bietet große Chancen, ist aber auch mit großer Unsicherheit behaftet.
-- Matthias Schupeta