Die „Befreiung“ wird teuer
Am 02. April, dem „Liberation Day“, hat D. Trump das neue Zollregime der USA bekanntgegeben. Alle Länder sind nach seiner Aussage betroffen, und die Zollsätze sind nicht einheitlich, sondern werden individuell bestimmt. Es soll zwar einen Basiszoll von 10% für alle Handelspartner geben, darüber hinaus sollen sich die Zölle aber an den jeweiligen Handelsbeschränkungen der anderen Länder orientieren („retaliatory tariffs “). Die neuen Zölle sollen am 9. April in Kraft treten.
Gegenüber der EU wird ein US-Zollsatz von 20% genannt, gegenüber China von 34%. Noch nicht ganz klar ist, ob sich die Zölle gegenüber China als zusätzliche Zölle verstehen, oder ob die von ihm in den letzten Wochen verhängten China-Zölle von 20% darin enthalten sind. In jedem Fall aber liegen die neuen Zölle deutlich über den erwarteten Niveaus. Wir sind in unserer Prognose bislang von einem Durchschnittszoll von 10% ausgegangen. Der neue durchschnittliche Zollsatz dürfte nun deutlich darüber liegen (falls die Einführung nicht noch zwecks Verhandlungen verschoben werden), was eine Revision unserer Prognosen notwendig machen wird.
Für die USA dürfte damit die Wahrscheinlichkeit einer Rezession ansteigen, für Deutschland wird für das laufende Jahr statt eines leichten Wachstums der Wirtschaftsleistung ein erneutes Minus wahrscheinlicher.
Auch an den Kapitalmärkten ist mit nachhaltigen Konsequenzen zu rechnen. Die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung verstärkt die Nachfrage nach sicheren Anlagen, während risikobehaftete Anleihen eher gemieden werden. In einer ersten Reaktion sanken die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen um 9 Basispunkte, während am kurzen Ende der Bundkurve die zweijährigen Renditen um rund 11 Basispunkte niedriger rentierten. Diese Bewegungen addieren sich jedoch zu den deutlichen Renditerückgängen im Vorfeld der Zollankündigung. Damit hat die US-Zollpolitik zu einem starken Renditerückgang über die gesamte Kurve beigetragen. Der Euro konnte gegenüber dem Dollar Gewinne verzeichnen und kratzt derzeit an der Marke von 1,10.
Der Renditerückgang bei den Kurzläufern spiegelt die Hoffnung der Marktteilnehmer wider, dass die EZB angesichts der negativen Auswirkungen der Zölle auf die Konjunkturentwicklung bereits im April die Leitzinsen erneut senken könnte. Der Gesamtumfang der geldpolitischen Lockerung in diesem Jahr bleibt mit knapp drei erwarteten, weiteren Zinsschritten nach unten nahezu unverändert. Hintergrund dürfte sein, dass der Handelskonflikt gegebenenfalls zu Gegenmaßnahmen der EU führen wird, was wiederum die Preise im Euroraum im Jahresverlauf nach oben treiben könnte.
An den Aktienmärkten fiel die Reaktion in den ersten Stunden nach Verkündung der zusätzlichen Zölle zwar ohne klare Richtung aus. Über Nacht hat sich jedoch ein eindeutiges Bild eingestellt: Enttäuschung! Offenbar hat die Mehrheit der Marktteilnehmer mit einer umsichtigeren Gangart Trumps gerechnet. Der japanische Nikkei rutschte vorübergehend mehr als 4% ab und bewegt sich derzeit immer noch knapp 3% unter dem Schlusskurs des Vortages. DAX und Euro Stoxx 50 können mit einem aktuellen Minus von knapp 2% die anfänglichen Kursverluste ebenfalls eingrenzen und halten sich zumindest im Bereich der Marke von 22.000 Punkten bzw. 5.200 Zähler. Geht es nach den US-Futures, könnte den US-Aktienmärkten ein „böses Erwachen“ drohen. Sowohl der S&P 500 als auch der Nasdaq 100 handeln momentan rund 3% unterhalb des gestrigen Schlusskurses.
Aus Aktienmarktsicht dürften in den nächsten Tagen vor allem zwei Themen genau beobachtet werden. Zum einen zeigt die jüngste Kursreaktion einmal mehr, dass höhere US-Importzölle vor allem auch eine Herausforderung für die US-Wirtschaft darstellen, zum anderen bleibt abzuwarten, inwieweit Gegenmaßnahmen von betroffenen Handelspartnern ergriffen werden oder über Gespräche eine Verhandlungslösung herbeigeführt wird.
-- Sören Hettler, Birgit Henseler, Michael Holstein