Türkische Lira: Kaltstellung des Oppositionsführers belastet
Die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu hat die türkische Lira spürbar verunsichert. So werden dem Oppositionspolitiker doch gute Chancen eingeräumt, die nächste Präsidentschaftswahl in der Türkei zu gewinnen. Wir rechnen mit einer allmählichen Beruhigung der Lage, wobei die TCMB einem erneuten Schwächeanfall der Lira mit weiteren Stabilisierungsmaßnahmen entgegentreten dürfte.

Wieder einmal zeigt sich, dass in der Türkei innenpolitische Entwicklungen die Finanzmärkte auf dem falschen Fuß erwischen können. Zunächst wurde in der vergangenen Woche dem wichtigsten Oppositionspolitiker, dem Bürgermeister von Istanbul Imamoglu, sein Universitätsabschluss aberkannt. Ein solcher ist notwendig, um in der Türkei Präsident zu werden. Imamoglu wurde am Wochenende dennoch von der größten Oppositionspartei CHP zu deren offiziellen Präsidentschaftskandidaten gekürt, auch wenn die nächste Wahl regulär erst 2028 ansteht. In Umfragen erfreut sich Imamoglu hoher Beliebtheitswerte. Anschließend wurde Imamoglu sogar aufgrund von Bestechungsvorwürfen verhaftet. Dass die zuständige Universität und die Justiz allein auf diese Ideen gekommen sind, glaubt kaum jemand. Am Wochenende wurde dann eine andauernde Untersuchungshaft abgeordnet. Damit verbunden war auch die Amtsenthebung als Bürgermeister.
Die Lira reagierte massiv verunsichert und verlor zeitweise mehr als 10% gegenüber dem US-Dollar an Wert und konnte nur durch deutliche Devisenmarktinterventionen stabilisiert werden. Die Notenbank sah sich zudem gezwungen, ihren Satz für Übernachtausleihungen um 200 Bp auf 46% anzuheben. Der zentrale Leitzins, der 1-wöchige Reposatz, blieb zwar unverändert bei 42,5%, allerdings wurden die regelmäßigen Auktionen zunächst ausgesetzt, sodass sich die faktische Straffung auf 350 Bp beläuft. Banken konnten sich zuvor zu 42,5% im Repo bedienen, derzeit gibt es Geld bei der Notenbank aber nur noch zu 46%. Damit dürfte auch der eigentlich zu erwartende Zinssenkungskurs der türkischen Notenbank (TCMB) zumindest vorerst obsolet geworden sein – aufgeschoben heißt aber nicht aufgehoben. Von internationaler Seite hat Präsident Erdogan außer einigen laufwarmen Protesten wenig zu befürchten, da das internationale Umfeld ohnehin bereits gut mit Krisen und Konflikten gefüllt ist. So erscheint eine langsame Beruhigung das wahrscheinlichere Szenario, auch wenn in der Türkei zahlreiche Protestierende trotz Demonstrationsverbot auf die Straße gingen. Zum Wochenauftakt zeigten sich Lira und der lokale Aktienmarkt angesichts der sehr umfangreichen Proteste weiterhin verunsichert. Weitere Stabilisierungsmaßnahmen sind daher nicht auszuschließen.
-- Stefan Grothaus