Österreich wählt rechts, aber die große Koalition hat die Mehrheit

Die FPÖ um ihren rechtsaußen Ausleger Kickl hat die Nationalratswahl in Österreich gewonnen, regieren wird aber wohl die ÖVP von Bundeskanzler Nehammer mit der SPÖ.

 

 

Die Überraschung blieb aus – nachdem die ÖVP bei der Europawahl Anfang Juni fast zur FPÖ aufgeschlossen hatte, lag sie nun 2,7 Prozentpunkte zurück. Dies ist gleichbedeutend mit einem Stimmenverlust von elf Prozentpunkten für Bundeskanzler Nehammer im Vergleich zur letzten Wahl in 2019 – kein Kanzlerbonus nach der Hochwasserkatastrophe. Die SPÖ rangiert am oberen Rand der Erwartungen, büßte aber dennoch kräftig ein, während die neuen, liberalen NEOS vor den Grünen landeten, die zukünftig die kleinste Fraktion im Nationalrat stellen.

 

Der grüne Bundespräsident Van der Bellen hält nun die Fäden bei der Regierungsbildung in der Hand und führt Gespräche mit allen Parteien, um mögliche Koalitionsoptionen auszuloten. FPÖ-Parteiobmann Kickl sieht den Regierungsauftrag bei sich, aber Van der Bellen ließ in der Vergangenheit durchblicken, dass dies nicht der Fall sein muss, wie auch das Beispiel Frankreich jüngst lehrte. Denn im Grunde hat Van der Bellen freie Hand bei der Nominierung des designierten Bundeskanzlers und kann seine Wahl bspw. mit den Chancen auf eine stabile Regierungsmehrheit begründen. Diese kann Kickl nicht aufweisen – auch nach der Wahl haben bislang alle Parteien eine Zusammenarbeit mit der FPÖ unter ihrem Chef Kickl ausgeschlossen.

 

Dies erschließt sich auch aus den machtpolitischen Optionen – die einzige in Frage kommende Koalitionspartnerin für die FPÖ ist die ÖVP, die dann allerdings Junior-Partner wäre. Bleibt Bundeskanzler Nehammer trotz der Wahlverluste Parteivorsitzender, ist es für ihn weitaus attraktiver, sich seinerseits der SPÖ anzunähern – die große Koalition ist in Österreich eine Institution und hat, anders als zuvor erwartet, wohl eine hauchdünne Mehrheit im Nationalrat. Alternativ bietet sich auch eine Dreier-Koalition mit den NEOS oder den Grünen an – wohl jedoch nur, wenn es nicht anders geht.

 

Die Aufgaben der neuen Regierung liegen auf der Hand – die Industrie und der Bau schrumpfen, das Thema Kaufkraftverlust dominierte den Wahlkampf, zumal die Inflation in der Vergangenheit in der Alpenrepublik besonders hoch war: Im laufenden Jahr wird Österreich wohl auch deshalb EU-Wachstumsschlusslicht werden, weil der private Konsum nicht anspringt und reale Lohnsteigerungen vermehrt in die Vorsichtskasse wandern. Allerdings kann man sich in Wien weitere Entlastungen nicht einfach so leisten, denn die zuletzt verbesserte Bonitätseinschätzung der Ratingagenturen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Haushaltsdefizit und Schuldenstandsquote hoch sind und sinken müssen.

 

Im Allgemeinen dauert die Koalitions­bildung zwei bis drei Monate, länger als im EU-Durchschnitt üblich. Für die Investoren in österreichischen Staatsanleihen sind das aber keine schlechten Nachrichten – Nehammer, der für eine moderat expansive Fiskal­politik steht, bleibt kommissarisch im Amt und dürfte weiterregieren. Der Rendite­ab­stand zu deutschen Staatsanleihen dürfte demnach vom Wahlergebnis unbehelligt bleiben.

 

-- Rene Albrecht