Higher for longer! Wer geht am besten mit hohen Zinsen um?
Für die privaten Unternehmen bedeutet ein deutlich höheres Leitzins- und Renditeniveau eine spürbare Umstellung. Dabei sind es gleich mehrere Kanäle, über die hohe Zinsen den Aktiengesellschaften und ihren Kursen zu schaffen machen. Manche Unternehmen kommen allerdings besser mit dem geänderten Umfeld zurecht – oder profitieren sogar davon.
In den USA und Europa ist aufgrund eines hohen und anhaltenden Preisdrucks aus einer ultra-expansiven Geldpolitik mit unkonventionellen Maßnahmen in weniger als zwei Jahren eine ganz klar restriktive Ausrichtung der Zentralbanken geworden. Zehn Mal in Folge hat die Europäische Zentralbank den Leitzins angehoben. Bei der Fed erfolgten seit dem Frühjahr 2022 sogar elf Schritte. Für Entwarnung ist es aus Sicht der Verantwortlichen aber noch deutlich zu früh. Zu weit sind Gesamt- und Kerninflationsraten von den Zielniveaus der Zentralbanken entfernt. Daher werden Lagarde, Powell & Co. auch nicht müde zu betonen, dass die Zinsen so lange restriktiv bleiben werden, bis sich die Inflationsrate nachhaltig in Richtung der Zielmarke bewegt. Die vorrangige Botschaft lautet daher „Higher for longer“.
Für Unternehmen bedeuten höhere beziehungsweise steigende Zinsen eine spürbare Umstellung, nachdem diese Größe über weite Strecken der letzten zehn Jahre zumindest als Kostenfaktor in den Hintergrund gerückt war. Besonders deutlich sichtbar waren die entsprechenden Auswirkungen im vergangenen Jahr bei den Aktienindizes. Rund ein Viertel verloren DAX, Euro Stoxx 50 und S&P 500 im Zeitraum von Anfang bis Mitte 2022 an Wert. Dabei sind es mehrere Kanäle, über die steigende Zinsen ihre Auswirkung auf Aktiengesellschaften entfalten.
Ein direkter Weg sind die Finanzierungskosten, die mit steigenden Zinsen zunehmen und die Gewinne der Unternehmen belasten. Ein zweiter, indirekter Kanal ist eine tendenziell nachlassende Konjunkturdynamik. Darüber hinaus nimmt der Wettbewerb zwischen den Anlageklassen zu, denn steigende Anleiherenditen können dazu führen, dass bei gegebenem Risikoprofil Mittel aus dem Aktiensegment in den Rentenmarkt abfließen. Der letzte und zugleich wichtigste (indirekte) Effekt höherer Zinsen auf die Aktienkurse spiegelt sich in den Bewertungsmodellen für Unternehmen wider. Hier stehen nicht die zukünftigen Gewinne, Umsätze oder Cash Flows im Mittelpunkt, sondern der Diskontierungszinssatz, mit dem die zukünftigen Rückflüsse abgezinst werden. Ein höherer Diskontierungssatz reduziert dabei den Barwert der zukünftigen Rückflüsse und damit auch den aktuellen Börsenwert.
Vergleichsweise gut positioniert sind daher Unternehmen, deren Absatzchancen weniger von Konjunkturschwankungen abhängen. Aufgrund des höheren Diskontierungsfaktors ist es außerdem hilfreich, wenn Cash Flows nicht erst weit in der Zukunft anfallen, wie es beispielsweise bei Wachstumstiteln so oft der Fall ist, denn der Diskontierungssatz reduziert langfristige Rückflüsse stärker als zeitnahe. Nicht zuletzt profitiert insbesondere die Finanzbranche von einem „Higher-for-longer“-Umfeld, da die Geschäftsmodelle dieses Sektors durch höhere Zinsen begünstigt werden.
-- Thomas Kulp