EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt: Fehlende Sanktionen sind das Kernproblem
Der Vorschlag der EU-Kommission zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes bleibt an einer entscheidenden Stelle vage: Wie kann sichergestellt werden, dass die Regeln auch eingehalten werden?
Eine gemeinsame Geld- aber divergierende Fiskalpolitik der Nationalstaaten war von Beginn an eine Konstruktionsschwäche des Euro. Da Ökonomen noch vor dem Euro-Start auf Risiken hingewiesen hatten, wurden die Konvergenzkriterien festgezurrt. Ein Vierteljahrhundert später wissen wir: Kaum ein Staat hat seitdem die Maastricht-Grenzen von 3% Neu- und 60%-Gesamtverschuldungsquote nicht zumindest zeitweise gerissen, und der Streit um eine grundlegende Reform der inzwischen unter Wachstums- und Stabilitätspakt firmierenden Fiskalregeln ist fast so alt wie der Euro selber.
Seit der Corona-Krise sind die Regeln temporär außer Kraft gesetzt und die EU-Kommission hat nun einen Entwurf für eine Neuregelung vorgelegt, der einer Quadratur des Kreises gleichkommt. Um den Wünschen der Südeuropäer zu entsprechen, sollen zukünftig anstatt pauschale landesspezifische Pläne zur Schuldenreduzierung greifen. Um Deutschland und die Gruppen der Frugalisten zu gewinnen, sollen die 3%- und 60%-Grenzen formal weiter bestehen. Zudem sollen Länder, die die Verschuldungsgrenzen reißen, verpflichtet werden, die Neuverschuldung um mindestens 0,5 Prozentpunkte im Jahr zu reduzieren, bis die 3%-Grenze erreicht ist. Auch beinhaltet der Vorschlag die vage Forderung nach stärkeren Sanktionen gegen die Staaten, die die neuen Regeln nicht einhalten.
Die politischen Reaktionen blieben nicht lange aus. Kern- und Peripherieländer hadern zwar jeweils mit den Vorschlägen, ein großer Aufschrei war aber weder aus Rom noch aus Berlin zu hören. Es darf daher damit gerechnet werden, dass über die Details zwar weiter verhandelt, am Ende aber eine Neuregelung stehen wird. Der Streit wird damit aber nicht beendet sein, denn an einem entscheidenden Punkt wird jeder Kompromiss lückenhaft bleiben: Wie kann sichergestellt werden, dass Sanktionen auch wirklich greifen? Hier hat der Europäische Rat, also die Staats- und Regierungschefs, das letzte Wort. Dieser konnte sich zu echten Strafen noch nie durchringen, was auch nicht sonderlich verwundert. In der Realpolitik ist es unrealistisch zu erwarten, dass ein Land das andere sanktioniert, wenn es in einer anderen politischen Frage auf dieses angewiesen ist. Sanktionen müssten also von einer neutralen, politisch-unabhängigen Institution verhängt werden. Vorstöße in eine solche Richtung gibt es seitens der Kommission keine und sie wären politisch derzeit auch nicht mehrheitsfähig. Am Ende könnte es also Makulatur bleiben, wie die neuen Regeln im Detail aussehen, wenn es keinen robusten Mechanismus gibt, der sicherstellt, dass diese auch eingehalten werden.
-- Daniel Lenz