Streit um EU-Wachstums- und Stabilitätspakt: Kaum mehr als ein Minimalkompromiss in Sicht

Im Streit um die Reform des EU-Wachstums- und Stabilitätspaktes bietet Bundesfinanzminister Lindner eine größere Flexibilität an, wenn dafür rote Linien bei der Einhaltung der Regeln eingezogen würden. Die Kritiker des Paktes dürften die Flexibilität begrüßen, ohne aber die roten Linien zu akzeptieren. 
 

Der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt wird in seiner bisherigen Form wohl nicht fortbestehen. Selbst seine größten Verfechter, darunter Bundesfinanzminister Lindner, sind zu Veränderungen bereit. Lindner lehnt zwar weiterhin sowohl „Sonderwege“ für einzelne Staaten als auch eine Abkehr von den zentralen Kenngrößen 60% maximale Gesamtverschuldung sowie 3%-Neuverschuldung ab (jeweils in Prozent des BIP). Der Zeitplan bis zur Erreichung des Ziels könne aber flexibilisiert und der fiskalische Spielraum für Investitionen vergrößert werden, so Lindner. Im Umkehrschluss fordert der deutsche Finanzminister, dass die Regeln stärker als bislang durchgesetzt und politische Ermessungsspielräume eingeschränkt werden. Lindner ist somit bereit, den Reformbefürwortern entgegenzukommen, fordert seinerseits aber die Einführung echter roter Linien.

 

Die Befürworter einer kompletten Neuausrichtung, darunter EU-Kommissar Gentiloni, lehnen hingegen feste und einheitliche Fiskalregeln, die gleichermaßen für alle EU-Staaten gelten, rundweg ab. Es solle vielmehr einzelstaatliche Lösungen geben. Gentiloni will angesichts einer italienischen Schuldenstandsquote von über 150% dem Faktischen Rechnung tragen. Es ist schlichtweg utopisch, dass das Land auf absehbare Zeit auch nur in die Nähe des 60%-Gesamtverschuldungsziels gelangen könnte. Gibt man das 60%-Ziel aber auf, legitimiert man letztlich die vielen Regelverstöße der Vergangenheit und beginnt, in einem gemeinsamen Währungsraum nicht mehr für alle Staaten die gleichen Maßstäbe anzusetzen. Die wirtschaftspolitischen Implikationen wären problematisch. Konkret könnte die EU-Kommission in Zukunft auf Basis unterschiedlicher makroökonomischer Rahmenbedingungen zumindest zeitweise die gleichen oder sogar größere Sparanstrengungen von Staaten fordern, die eigentlich weniger stark als beispielsweise Italien verschuldet sind.

 

Einheitliche Ziele beugen solchen Kuriositäten vor, allerdings lässt Lindner offen, wie die echten roten Linien auch eingehalten werden könnten. Weder die EU-Kommission noch der europäische Rat scheinen politisch heikle Sanktionsmaßnahmen durchsetzen zu wollen. Es wäre wahrscheinlich eine politisch unabhängige Kontrollinstanz vonnöten, die aber Entscheidungen von politischer Tragweite zu treffen und durchzusetzen hätte. Aus heutiger Sicht wäre kaum zu erwarten, dass es hierfür politische Mehrheiten in Europa gäbe. Am Ende dürfte daher einmal mehr ein typischer EU-Minimalkompromiss geschlossen werden: Ein flexiblerer Wachstums- und Stabilitätspakt, der formal an gemeinsamen Zielen festhielte, ohne dass der Bruch der Regeln tatsächlich strenger geahndet würde.
 

-- Daniel Lenz