Türkei: Inflationsgespenst in Mammutgröße
Im Juli zog die bereits zuvor rekordhohe Inflation in der Türkei nochmals leicht auf knapp 80% an. In den kommenden Monaten ist mit noch weiter steigenden Raten zu rechnen. Dies ist keine leichte Last für den konjunkturellen Ausblick.
Seit Jahresbeginn liegen die Inflationsraten in der Türkei in einer Höhenregion, die zuletzt vor 20 Jahren zum Alltag der privaten Haushalte gehörte. Dass es bei der Preisdynamik darüber hinaus sogar immer noch weiter aufwärts geht, hat der heute veröffentlichte Juli-Wert bestätigt. Die Verbraucherpreise waren zuletzt um knapp 80% höher als im Vorjahresmonat, im Januar hatte das Preisplus „erst“ bei knapp 49% gelegen. Da wohl noch bis in den Herbst neue Rekordmarken erreicht werden, rechnen wir inzwischen in diesem Jahr mit einer durchschnittlichen Inflation von 74%. Erst im Verlauf des kommenden Jahres wird sich das Inflationsgespenst sichtbar auf den Rückzug begeben. Dafür sorgen allerdings vor allem dämpfende Basiseffekte, die von dem deutlichen Preisanstieg in diesem Jahr ausgehen.
Getrieben wird die Inflation in der Türkei von Lebensmittelpreisen, die sich in den vergangenen 12 Monaten verdoppelt haben, bei den Energie- und Transportkosten ist der Anstieg noch größer. Bei den Wohnungsmieten wurde per Gesetz der Auftrieb auf ein Plus von 25% gegenüber dem Vorjahresmonat begrenzt. Diese vorerst bis Juli 2023 befristete Maßnahme hat zuletzt sicher dazu beitragen, dass das Inflationsgespenst verlangsamt weiter gewachsen ist. Bei Nahrungsmitteln hingegen, die immerhin rund ein Viertel des Warenkorbs ausmachen, ist der Druck nach oben immer noch groß. Auf Mammutgröße ist die Inflation aber vor allem wegen der unorthodoxen Geldpolitik der Notenbank angewachsen. Diese bekämpft den Anstieg der Verbraucherpreise eben NICHT mit Zinserhöhungen, wie es weltweit getan wird. Dies treibt den Wertverfall der türkischen Lira immer wieder voran.
Was heißt das letztlich für die Konjunktur? In diesem Jahr dürfte das Wirtschaftswachstum mit rund 3,5% recht robust ausfallen. Dafür sorgt der solide Auftakt im ersten Quartal und die Erholung beim Tourismus. Der weitere Ausblick ist jedoch nur noch verhalten. Zum einen halten die rückläufigen Realeinkommen die Stimmung der Verbraucher tief im Keller. Zum anderen hat sich auch in der Industrie das Klima sichtbar eingetrübt. Bereits seit März liegen die Ergebnisse der Einkaufsmanagerbefragungen unterhalb der Wachstumsschwelle, zuletzt wurde der niedrigste Wert seit 26 Monaten verzeichnet. Gründe dafür sind eine verschlechterte inländische Nachfrage und auch der hohe Kostendruck. Für das Wahljahr 2023 ist deshalb nur mit wenig Wirtschaftswachstum und einer Inflation von rund 33% zu rechnen.
-- Dr. Christine Schäfer