Chemiebranche – ernsthafte Auswirkungen für den Fall einer Gasrationierung
Im Fall einer Gastrationierung drohen insbesondere für die Chemiebranche „ernsthafte Schwierigkeiten“. Die betrieblichen und finanziellen Auswirkungen von Gasunterbrechungen auf Chemieunternehmen sind jedoch äußerst komplex.
Moody’s hat sich in der Studie „Natural gas rationing would result in production, financial losses“ vom 28.6.2022 zu den möglichen Auswirkungen einer Gasrationierung für den Chemiesektor geäußert. Anlass der Studie war, dass man in Deutschland mit der zweiten Stufe des dreistufigen nationalen Gasnotstandsplans der Gasrationierung einen Schritt nähergekommen ist. Wie wir bereits mehrfach in unseren Blogs dargelegt haben, ist der Chemiesektor einer der energieintensivsten und gasabhängigsten Industriezweige und gleichzeitig die Basis für fast alle anderen Industriebranchen. Es verwundert nicht, dass Moody’s zu dem Ergebnis kommt, dass die Branche bei einer Rationierung der Gaslieferungen ernsthafte Schwierigkeiten hätte, ihre Produktion in Europa aufrechtzuerhalten. Hintergrund ist die bestehende, von der Regierung festgelegte Reihenfolge der Gaszuteilung im Rahmen des Notfallplans, wonach Privathaushalten und kritischen Infrastrukturen Priorität eingeräumt wird.
Auch Moody’s fällt es schwer, eine abschließende Einschätzung für diesen Fall vorzunehmen. Die Bewertung des Ausmaßes der betrieblichen und finanziellen Auswirkungen von Gasunterbrechungen auf Chemieunternehmen sei äußerst komplex und hänge von einer Reihe von Faktoren ab. Dazu zählen z. B. Zeitpunkt und Dauer einer möglichen Gasrationierung. Es gehe auch um die tatsächliche Zuteilung und Verfügbarkeit von Gas nicht nur für die Chemieproduzenten, sondern auch für deren Kunden in Branchen wie der Automobil- und Bauindustrie. Für den Fall einer Gasrationierung könnten aber auch Anpassungen des Notfallplans erfolgen. Beispielsweise könnte die Lieferungen an Unternehmen gehen, deren Produkte als existenziell angesehen werden. Die Regulierungsbehörden können auch marktgestützte Systeme wie Auktionen in Betracht ziehen. Die Regierung könnte die Unternehmen für die Produktionsausfälle entschädigen. Die Entschädigung würde über Gaspreisaufschläge finanziert werden. Aber dabei handelt es sich zunächst um Erwägungen, die bisher nicht abschließend geregelt sind.
Eine Gasrationierung würde aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Unternehmen ihre Produktion einstellen müssen, so Moody‘s. Die Chemieunternehmen werden je nach Gaspreisen und Kundenbedarf Prioritäten bei der Produktion setzen. Viele, wenn nicht sogar die meisten, Chemieanlagen können mit einer durchschnittlichen Auslastung von über 50% sicher betrieben werden. Diesbezügliche Erfahrungen sammelten die Chemieunternehmen bereits im März und April 2020 beim Ausbruch des Coronavirus und den daraus resultierenden Schließungen.
Abschließend lässt sich festhalten, dass aktuell vieles im Nebel liegt. Im Falle eines russischen Gaslieferstopps steht aber fest, dass über die unmittelbaren Folgen für die von der Gasversorgung direkt betroffener Unternehmen hinaus, die europäische Konjunktur und damit auch die Weltwirtschaft belastet würde. Dann stünden nicht mehr nur die Chemieunternehmen im Fokus.
-- Christian Albrecht, Markus Rohleder