Frankreich: Politisches Neuland

Bei den gestrigen Parlamentswahlen hat das Bündnis von Staatspräsident Macron seine bisherige absolute Mehrheit verloren. Die Umsetzung von Reformen in der zweiten Amtszeit dürfte damit erschwert werden.

 

 

 

 

Am gestrigen Sonntag hat Frankreich in der Stichwahlrunde über die zukünftige Zusammensetzung der Abgeordnetenkammer entschieden. Die Partei des Ende April frisch gewählten, alten und neuen Staatspräsidenten Macron schnitt dabei relativ schwach ab und verfehlte die absolute Mehrheit von 289 Sitzen deutlich: Mit 245 Abgeordneten verlor das Bündnis Ensemble! im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren mehr als 100 Sitze. In der Stichwahl konnten sich auch einige Minister der im Mai neu zusammengestellten Regierung nicht durchsetzen, wenn auch keine aus den Schlüsselressorts dabei waren. Premierministerin Borne erlangte erstmals ein Mandat, ihre Position kann nach dem schwachen Abschneiden jedoch bestenfalls als instabil betrachtet werden.

 

Zweitstärkste Kraft wurde das Linksbündnis NUPES unter Führung des Linkspopulisten Mélenchon. Mit 131 blieb dieses jedoch deutlich unter Umfragespitzenwerten von bis zu 200 Sitzen zurück (unter Berücksichtigung nicht in dem Bündnis organisierter Abgeordneter kommt die Linke auf 153 Sitze). Überraschend stark schnitt hingegen das rechtspopulistische Rassemblement National von Marine Le Pen ab, welches mit 89 Sitzen nun eine zunehmende etablierte Kraft in der Assemblée Nationale darstellt. Dennoch: Weder Links- noch Rechtspopulisten sollten in der Lage sein, eine Mehrheit für eine eigene Regierung zu finden. Insbesondere das markttechnisch äußerst ungünstige Randszenario eines Premiers Mélenchon wurde verhindert. Die Rolle des möglichen Königsmachers fällt nun den konservativen Les Républicains zu, die zwar nur noch auf 61 Sitze kommen, Macron jedoch noch am nächsten stehen.

 

Diese Situation stellt in der 5. Republik Neuland dar, da im Abgeordnetenhaus bislang meist klare Mehrheitsverhältnisse herrschten. Eine klassische Koalition, wie beispielsweise im Deutschen Bundestag, ist jedoch nicht zu erwarten, eher eine Zusammenarbeit von Abstimmung zu Abstimmung. Dies dürfte Macrons Reformplänen (im Zentrum seiner zweiten Amtszeit steht unter anderem eine unpopuläre Rentenreform) einigen Wind aus den Segeln nehmen. Französische Staatsanleihen (OATs) eröffneten die neue Woche etwas schwächer. Dennoch sollten die Auswirkungen der Wahl vorerst begrenzt bleiben und das Ein- oder Auspreisen von Fragmentierungsrisiken (wie beispielsweise in der vergangenen Woche) deutlich schwerer wiegen. Mittel- und langfristig stellen die zunehmende Stärke der politischen Ränder in Frankreich und die geringe Reformfähigkeit jedoch durchaus Risikofaktoren am Kapitalmarkt dar.

 

-- Christian Lenk


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