EZB: Keine Osterüberraschung

Die europäischen Währungshüter haben im Zuge ihrer heutigen Zusammenkunft keine Anpassungen am geldpolitischen Kurs vorgenommen. Trotz einer zuletzt deutlich gestiegenen Inflationsrate wurde der Hauptrefinanzierungssatz bei 0,00% belassen. Dennoch lassen die Notenbank-Oberen kein Zweifel daran, dass auf Sicht der kommenden Monate mit einer Verminderung des geldpolitischen Stimulus zu rechnen ist. So zeigen sich die Währungshüter angesichts der jüngsten Konjunkturdaten überzeugt, dass die Nettoneukäufe im Rahmen des Asset Purchase Programme (APP) im dritten Quartal eingestellt werden sollten. Über das weitere geldpolitische Vorgehen will die Notenbank flexibel in Abhängigkeit der Datenlage entscheiden. Vor diesem Hintergrund kommt den nächsten EZB-Projektionen, welche im Rahmen der Juni-Ratssitzung veröffentlicht werden, besondere Bedeutung zu. Es deutet sich aber an, dass das Ende der APP-Käufe eher früh als spät in Q3 erfolgen wird. Damit könnte ein Zinserhöhungsschritt noch deutlich vor Ende des Jahres vollzogen werden. In einer ersten Reaktion zeigen sich die Marktakteure dennoch etwas enttäuscht. Diese hätten sich die Leitzinswende bereits im Sommer gewünscht.

 

 


Die Unsicherheit über den Fortgang des Krieges in der Ukraine macht es für die Notenbank-Oberen zu einer besonderen Herausforderung, die geldpolitischen Weichen zu adjustieren. So sehen die Währungshüter die weiteren Konjunkturaussichten mit Abwärtsrisiken behaftet. Zugleich warnt EZB-Chefin Lagarde aber auch vor Aufwärtsrisiken für die Inflationsentwicklung (Zweitrundeneffekte / Lohndruck). Vor dem Hintergrund dieses von Unsicherheit geprägten Umfelds wollen sich die Währungshüter zunächst noch geldpolitische Flexibilität bewahren und haben sich daher dazu entscheiden heute noch etwas abzuwarten.


Da von einer raschen Entspannung an der Preisfront nicht auszugehen ist, dürfte der marktseitige Druck auf die EZB die Zinszügel zu straffen nicht nachlassen. Zunächst wird die Notenbank aber im Rahmen der Juni-Ratssitzung darüber entscheiden, wann im dritten Quartal die APP-Wertpapierkäufe beendet werden. Einiges spricht dafür, dass die Anleihekäufe bereits im Juli auslaufen könnten. Dies würde es der Notenbank ermöglichen, nach der Sommerpause und damit früher als bislang von uns avisiert die Leitzinswende anzugehen.

 

-- Christian Reicherter