Brasilien: Stagflation – ausgerechnet im Wahljahr

Die brasilianische Wirtschaft ist wieder auf das verhaltene Wachstumstempo zurückgefallen, das sie schon in den letzten Jahren unmittelbar vor der Corona-Krise zeigte. In diesem Jahr ist deshalb nur mit sehr schwachem Wirtschaftswachstum von 0,5% zu rechnen. Auch für 2023 ist der Ausblick recht verhalten. Wirtschaftliche Stagnation, eine sichtbar erhöhte Inflation und die hohe Zahl an Corona-Toten dürften bei der Wahl im Oktober die Chance auf eine Wiederwahl für die amtierende Regierung deutlich reduzieren.


Das Wirtschaftswachstum von fast 5%, das wohl für 2021 zu Buche steht, ist vor allem der konjunkturellen Erholung nach dem pandemiebedingten Einbruch in 2020 geschuldet. Aber nur der erste Blick liefert einen positiven Eindruck. Betrachtet man den Quartalsverlauf, zeigt sich seit Q2 ein stetiger leichter Abwärtstrend. Eine konjunkturelle Beschleunigung zeichnet sich bisher nicht ab. Auf diese bereits recht trübe Entwicklung am aktuellen Rand fällt aber ein noch größerer Schatten, wenn man den Zeithorizont deutlich nach hinten auswei-tet und zum Vergleich die Gesamtheit der Schwellenländer heranzieht. Es zeigt sich, dass die größte Volkswirt-schaft Südamerikas ihren Wachstumspfad im Jahr 2014 verlassen hat und weit hinter den anderen Schwellen-ländern zurückbleibt.


Die Corona-Pandemie sorgte in Brasilien für eine tiefe Gesundheitskrise, da Staatspräsident Bolsonaro die Gefährlichkeit des Virus verharmloste, lange Zeit Impfungen für nicht erforderlich hielt und deshalb zunächst auch kaum Impfstoff zur Verfügung stand. Zwischenzeitlich sind zwar rund 75% der Einwohner geimpft, aber fast 620.000 Corona-Tote haben eine tiefe Verunsicherung hinterlassen. Hinzu kommt die weiterhin ange-spannte Lage am Arbeitsmarkt: Im Vergleich zum Dezember 2019 fehlen noch 1,5 Millionen Arbeitsplätze.


Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass die Konsumentenbefragungen derzeit ein düsteres Bild zeigen. Ein weiterer Stimmungsdämpfer ist der deutliche Anstieg der Verbraucherpreise. Trotz konjunktureller Flaute liegt die Inflationsrate seit September knapp im zweistelligen Bereich. Dies drückt auf die Realeinkommen, die 2021 wohl um rund 6% unter dem Vorjahresniveau lagen. Der Auftrieb bei den Verbraucherpreisen dürfte sich im Laufe dieses Jahres nur sehr zögerlich zurückbilden. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Wertverlust des Brasilianischen Reals im ersten Corona-Jahr 2020. Letztlich müssen die privaten Haushalte wohl auch im Wahljahr 2022 einen Rückgang der Realeinkommen verkraften, da die Inflation im Jahresdurchschnitt bei knapp 9% liegen dürfte.


-- Dr. Christine Schäfer