Die Risikoaversion nimmt zu

Die Risikoaversion in den Reihen der Marktteilnehmer hat in jüngster Vergangenheit signifikant zugenommen, das lässt sich anhand aktueller Entwicklung ablesen: Der von Bloomberg berechnete Risk-On/Risk-Off-Index büßte seit Mitte Januar signifikant an Höhe ein, die Aktienmärkte korrigierten deutlich und der Volatilitätsindex des S&P 500 nahm im Gegenzug stark zu. Die Anzahl der in den Vereinigten Staaten auf einem Stressniveau gehandelten Anleihen hat seit sich Jahresbeginn mehr als verdoppelt. Die Risikoaufschläge der in Euro denominierten riskanten High-Yield-Bonds legten um 35 Basispunkte zu. Im Segment der Euro-Investment-Grade-Anleihen erhöhten sich die Risikoaufschläge gegenüber den korrespondierenden Bundesanleihen seit Jahresstart ebenfalls. Im Falle von Staatsanleihen und staatsnahen Anleihen fiel der Anstieg der Risikoprämien gegenüber Swaps mit durchschnittlich drei bis fünf Basispunkten (gemäß iBoxx-Indizes) noch vergleichsweise gering aus. Der Risikoaufschlag von Unternehmens- und Bankanleihen hat mit acht respektive zehn Basispunkten mehr zugenommen.

Hintergründe für den Anstieg der Renditeaufschläge gibt es derzeit einige: Die extrem starke Corona-Welle droht die konjunkturelle Erholung zu verzögern. Die geopolitischen Risiken nehmen durch den anhaltenden Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu. Angesichts der kräftigen Inflation hat sich das generelle Zinsniveau in den vergangenen Wochen erhöht. Am Primärmarkt kam es zu einer Neuemissionsflut. Mit dem Szenario eines weiter steigenden Zinsniveaus ist der Bedarf der Emittenten, sich noch zeitnah günstig zu refinanzieren, sehr hoch.

Droht nun eine dauerhafte, massive Ausweitung der Risikoaufschläge im Bereich der Investment-Grade-Anleihen? Auch wenn am Finanzmarkt prinzipiell immer alles möglich ist, gibt es jedoch Argumente dagegen. Im Frühjahr und Sommer sollte sich die Situation der Pandemie deutlich entspannen, die Emissionsflut ebbt normalerweise im März/April ab und die geopolitischen Risiken haben sich bis dahin hoffentlich wieder verringert. Die Konjunktur sollte zu diesem Zeitpunkt wieder an Fahrt aufnehmen. Das alles spricht gegen eine massive, anhaltende Ausweitung der Risikoaufschläge. Die weiterhin hohe Inflation und der von den Zentralbanken angestrebte geldpolitische Normalisierungspfad sprechen hingegen für einen weiteren Anstieg der Risikoprämien im Verlauf des Jahres, der jedoch aufgrund der zuvor genannten Faktoren begrenzt sein sollte.

-- Günther Scheppler


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