EZB: Zinssenkungen nun nicht mehr im Automatikmodus
Die europäischen Währungshüter haben im Rahmen der Juni-Ratssitzung eine weitere Zinssenkung beschlossen. Der Einlagesatz sinkt auf 2,00%.

Bei ihrer jüngsten Zusammenkunft haben die Währungshüter beschlossen, die Leitzinsen erneut zu senken. Der Einlagesatz liegt nun bei 2%. Die Notenbank sieht sich nunmehr gut positioniert, um durch das derzeit von hoher Unsicherheit geprägte Umfeld zu navigieren. Dies bestärkt uns in unserer Einschätzung, dass die Notenbank zur Juli-Ratssitzung und über den Sommer hinweg eine Pause im Zinssenkungszyklus einlegen wird. Mit dem Verweis auf die Datenabhängigkeit des weiteren geldpolitischen Kurses hält sich die EZB aber zugleich alle Optionen offen. Die Marktteilnehmer haben die Zinssitzung als leicht „hawkish“ wahrgenommen und ihre Zinssenkungsfantasie bis zum Jahresende etwas zurückgeschraubt. Auch wenn eine weitere Leitzinssenkung nach dieser Ratssitzung weniger wahrscheinlich erscheint, kann sich dies angesichts des andauernden Handelsstreits schnell wieder ändern. Wir gehen davon aus, dass der Zinssenkungszyklus noch nicht ganz beendet ist. Ein weiterer Lockerungsschritt nach der Sommerpause ist nach wie vor Teil unserer Zinsprognose.
Ein starker Euro und niedrigere Energiepreise stützen den Disinflationsprozess
Im Rahmen der heutigen Ratssitzung wurden auch die überarbeiteten Projektionen zur Konjunktur- und Inflationsentwicklung veröffentlicht. Die Inflationsprojektionen skizzieren einen weiter voranschreitenden Disinflationsprozess. Sowohl für das laufende als auch für das kommende Jahr wurde die Projektion um jeweils 0,3 Prozentpunkte nach unten revidiert. Die EZB begründet dies mit niedrigeren Energiepreisen und einem stärkeren Euro. Hinsichtlich der konjunkturellen Perspektiven hat sich gegenüber den vorherigen Projektionen wenig getan. Die BIP-Prognose für das kommende Jahr wurde lediglich um 0,1 Prozentpunkte nach unten angepasst. EZB-Chefin Lagarde betonte allerdings zugleich, dass der Wachstumsausblick weiterhin mit Abwärtsrisiken behaftet sei. Angesichts der hohen Unsicherheit bezüglich der weiteren Entwicklung des Handelsstreits hat die Notenbank auch alternative Szenarien zur Konjunktur- und Inflationsentwicklung erstellt. Im Falle eines eskalierenden Handelskonflikts wäre mit einem schwächeren Wachstum und einer niedrigeren Teuerung im Vergleich zum Basisszenario zu rechnen. Können die Handelsspannungen hingegen gelöst werden, würden das Wachstum und – in geringerem Maße – die Inflation höher ausfallen als in den Basisprojektionen.

Lagarde weist Spekulationen über ein vorzeitiges Ende ihrer Amtszeit zurück
Im Rahmen der Pressekonferenz wurde EZB-Präsidentin Lagarde unter anderem gefragt, ob sie das gegenwärtige Leitzinsniveau als „neutral“ charakterisieren würde. Hierauf erwiderte Lagarde, dass sie dem Konzept des neutralen Leitzinses in einem von zahlreichen Schocks geprägten Umfeld mit Vorbehalt gegenüberstehe. Das Thema sei im Rahmen der geldpolitischen Beratungen nicht debattiert worden, so Lagarde.
Zuletzt gab es Spekulationen, wonach Lagarde ihre bis Oktober 2027 laufende Amtszeit vorzeitig beenden könnte, um die Nachfolge von Klaus Schwab beim Weltwirtschaftsforum anzutreten. Diese hat die Notenbankchefin zurückgewiesen und betont, dass sie entschlossen sei, ihre Amtszeit zu erfüllen.
-- Christian Reicherter