Wahlen in Taiwan – eine Nachlese
Der Kandidat der bislang regierenden und eher china-kritischen Fortschrittspartei (DPP), Lai Ching-te, hat die Präsidentschaftswahlen in Taiwan mit gutem Vorsprung für sich entschieden. Die Inselrepublik hat damit vor allem Kontinuität gewählt – auch, was das angespannte Verhältnis zum großen Nachbarn China betrifft.
Es ist kein Geheimnis, dass sich die Staatsführung in Peking ein anderes Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Taiwan gewünscht hätte. Die chinesische Regierung hat den nun unterlegenen Kandidaten der alten und neuen Oppositionspartei Kuomitang (KMT), Hou, mehr oder weniger offen unterstützt. Hou hatte sich im Wahlkampf für eine deeskalierende Annäherung an China ausgesprochen und die Regierungspartei DPP für ihre starke Betonung der Souveränität Taiwans als sicherheitsgefährdend kritisiert. Die Volksrepublik sieht Taiwan als abtrünnige Provinz und will eine „Wiedervereinigung“ erzwingen – zur Not auch mit militärischen Mitteln. Von einem Machtwechsel in Taipeh hatte Peking sich einen wieder stärkeren politischen Einfluss auf das kleine Nachbarland erhofft. Im Idealfall hätten so sogar die Weichen gestellt werden können, um die angestrebte „Wiedervereinigung“ auf politischem Weg zu erreichen. Es gibt ausreichend Hinweise, dass Peking versucht hat, sich in den Wahlkampf einzumischen – mit Propaganda und Falschnachrichten, aber auch mit wirtschaftlichem Druck und militärischen Drohgebärden.
Die Bevölkerung von Taiwan hat sich davon ganz offenbar nicht einschüchtern lassen. Obwohl im Wahlkampf neben der Frage um die richtige China-Politik auch wirtschaftliche Themen eine Rolle spielten und es eine gewisse Unzufriedenheit mit der Regierungspartei gab, hat der DPP-Kandidat und neu gewählte Präsident Lai die Umfragen von Beginn an angeführt. Anscheinend hält eine Mehrheit der Wähler die Strategie Lais – Distanz zu Peking und militärische Abschreckung durch das Beistandsversprechen der USA – für erfolgversprechender, um den Status Quo der Insel, die De-facto-Unabhängigkeit, zu verteidigen. Der Annäherungskurs der KMT hat dagegen Befürchtungen geweckt, womöglich irgendwann auf dasselbe Schicksal zuzusteuern wie Hongkong. Gleichwohl hat sich die Wechselstimmung in der Bevölkerung in einer Verschiebung der Mehrheiten im Parlament niedergeschlagen. Der neue Präsident wird also stärker mit der KMT zusammenarbeiten müssen, was für eine künftig sehr abgewogene Politik gegenüber Peking spricht.
Die Volksrepublik zählt klar zu den Verlierern dieser Wahl, entsprechend harsch waren die Reaktionen der chinesischen Führung – etwa auf Glückwünsche an den Wahlgewinner aus den Hauptstädten der westlichen Welt. Mehr als eine verschärfte Rhetorik kam aus Peking bislang aber nicht, doch das kann sich in den kommenden Wochen bis zur Amtseinführung Lais im Mai noch ändern. Es muss wieder mit verstärkten Militärmanövern gerechnet werden, oder auch mit Wirtschaftssanktionen wie Importzöllen. Sie würden die Wirtschaft Taiwans, die sich gerade erst von einer Export- und Industrieflaute erholt, empfindlich treffen. Allerdings ist auch Chinas Wirtschaft stark von Taiwan abhängig – die meisten Importe der Volksrepublik kommen von der Nachbarinsel, hauptsächlich Halbleiter. Im Falle einer militärischen Auseinandersetzung in der Straße von Taiwan müsste China daher wohl hohe wirtschaftliche Schäden befürchten. Dies dürfte, schon angesichts der aktuell fragilen wirtschaftlichen Lage in China, eine hohe Hürde für die chinesische Führung darstellen, Taiwan tatsächlich militärisch anzugreifen.
Ein anderer Wahlausgang in Taiwan hätte die Spannungen zur Volksrepublik sicherlich verringert – ob zum Vorteil der Inselrepublik, bleibt jedoch fraglich. Zugenommen haben die ohnehin hohen Risiken rund um Taiwan mit dem Sieg Lais jedoch auch nicht. Klar ist aber eines: Gewonnen hat am vergangenen Wochenende vor allem die Demokratie.
-- Monika Boven