Euro-Raum: Rückzug der Inflation wird ein zäher Prozess bleiben

Die Verbraucherpreisinflation im Euro-Raum schwächt sich weiter ab. Der Preisauftrieb ist jedoch noch nicht in allen Bereichen überwunden. Insbesondere der gewichtige Dienstleistungssektor befindet sich inmitten eines Nachfragebooms. Deutliche Preisrückgänge - insbesondere in der Kernrate - erscheinen vor diesem Hintergrund wenig plausibel.

 

 

Die hohe Verbraucherpreisinflation im Euro-Raum ist weiter rückläufig. Im Mai schwächte sie sich zunächst etwas deutlicher ab. Die Jahresrate sank von 7,0% auf 6,1%. Dies ist der niedrigste Wert seit Februar 2022. Der Rückgang ist vor allem auf den nachlassenden Preisdruck bei Energie und Nahrungsmitteln zurückzuführen. Aber auch die Kernrate, d.h. die Preisentwicklung bei Dienstleistungen und nicht-energetischen Industriegütern, hat sich weiter leicht abgeschwächt.

 

Hierzu hat sicherlich auch die restriktivere Geldpolitik der EZB beigetragen. Die gestiegenen Zinsen haben Kredite jedenfalls wieder deutlich verteuert. Das Kalkül der Notenbank ist es, die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zu dämpfen und damit auch die Preisentwicklung zu bremsen. Tatsächlich sind die Märkte für Bankkredite im Euroraum angespannt, wie der Bank Lending Survey der EZB vom April zeigt, und auch die Nachfrage nach Konsumentenkrediten hat sich zuletzt abgeschwächt.

 

Die Inflationsentwicklung in den einzelnen Ländern des Euro-Raums verlief im Mai ähnlich. In Deutschland sank der harmonisierte Verbraucherpreisindex im Jahresvergleich deutlich von 7,6% auf 6,3%. Hier wirkte sich die Einführung des Deutschlandtickets mit rund einem Viertel Prozentpunkt zusätzlich dämpfend auf die Gesamtrate aus. Auch in Frankreich sank die Jahresrate deutlich von 6,9% auf 5,8%. In Italien ging sie von 8,7% auf 8,1% zurück.

 

In vielen Fällen spielen auch hier verschiedene preisdämpfende Entlastungsmaßnahmen eine wichtige Rolle. Dazu zählen unter anderem Preisobergrenzen oder -bremsen für Energieträger wie Gas oder Strom sowie Mehrwertsteuersenkungen für Nahrungsmittel. Besonders wirksam waren die staatlichen Maßnahmen in Spanien. Mit 2,9 % ist die Inflation so niedrig wie in kaum einem anderen europäischen Land und damit bereits wieder in Reichweite der EZB-Zielmarke von 2%.

 

Der Preisauftrieb ist noch nicht in allen Bereichen überwunden. Nach wie vor boomt beispielsweise die Nachfrage im Dienstleistungssektor, insbesondere im Tourismus und in der Freizeitindustrie. Der Dienstleistungssektor ist mit einem Anteil von 44% am gesamten Warenkorb der Verbraucherpreise ein Schwergewicht. Die gestiegene Nachfrage hat hier zu einem deutlichen Preisanstieg geführt. Nach den Pandemiejahren sind die Verbraucher offensichtlich bereit, trotz knapper Kassen mehr Geld für ihren Urlaub auszugeben. Nach Analysen der Reiseveranstalter dürfte dieser Nachfrageboom vorerst anhalten.

 

Vor diesem Hintergrund sehen wir zumindest bei der Kernrate den Punkt einer deutlichen Preisentspannung noch nicht erreicht. Vielmehr wird sich die Kernrate zunächst nur leicht zurückbilden und die Inflationsrate insgesamt vorerst auf hohem Niveau stützen. Trotz rückläufiger Energie- und Nahrungsmittelpreise sollte damit auch die Gesamtrate in den kommenden Monaten nur moderat absinken. Eine Rückkehr zur 2%-Zielmarke der EZB für das Aggregat des Euroraums erwarten wir somit frühestens im kommenden Jahr.

 

-- Matthias Schupeta