Großbritannien: Haarscharf an der Rezession vorbei – noch
Die britische Wirtschaft stagniert im vierten Quartal 2022 nach einem Minus in Q3. Der Konjunkturausblick bleibt aber stark getrübt, das zeigen schon die schwachen Wachstumswerte vom Dezember.
Nein, in die Rezession, also eine Phase mit zwei aufeinanderfolgenden Quartalen sinkender Wirtschaftsleistung, ist die britische Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte 2022 nicht gerutscht. Mit einer Stagnation des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sieht die britische Bilanz für das Schlussquartal des vergangenen Jahres besser aus als in manch anderer der größten entwickelten Volkswirtschaften, wie Deutschland oder Italien. Das zurückliegende Gesamtjahr 2022 schließt das Vereinigte Königreich sogar mit einem Plus von 4% ab und damit mit dem kräftigsten Wirtschaftswachstum im Kreis der G7-Staaten. Die britische Wirtschaft überrascht somit einmal mehr mit ihrer Widerstandskraft – wenngleich lediglich auf den ersten Blick.
Denn das konjunkturelle Bild ist alles andere als positiv – sowohl rückblickend als auch vorausschauend. Letztlich tritt die britische Wirtschaft seit dem Frühsommer 2022 auf der Stelle, in der zweiten Jahreshälfte ist sie nach dem Minus im dritten Quartal als einzige der G7-Volkswirtschaften per Saldo leicht geschrumpft und für das laufende Jahr rechnen nicht nur wir für Großbritannien mit der schwächsten wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Kreis. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet für das Königreich sogar als einzigem der sieben größten Industrieländer eine sinkende Wirtschaftsleistung.
Sicherlich haben im vergangenen Jahr zwei zusätzliche (royale) Feiertage im Juni und September Wachstum gekostet und dieses Jahr kommt im Mai ein weiterer dazu. Die entscheidenden Wachstumshürden sind aber andere: So gehört die Inflation im Inselstaat zu den höchsten der G7, da Gas eine ungleich größere Rolle bei der Strom- und Wärmeerzeugung spielt. Die hohe Teuerung lastet nicht nur mächtig auf Realeinkommen und privatem Konsum. Die Bank of England musste die Leitzinsen früher und stärker erhöhen als die EZB. Gleichzeitig kann der britische Staat seine Bürger nicht so großzügig unterstützen wie gewünscht, das haben die missglückten Versuche der Truss-Regierung im Herbst gezeigt. So wird in wenigen Wochen die Unternehmensbesteuerung deutlich von 19 auf 25% erhöht – zur strafferen Geld- kommt also auch noch eine restriktivere Fiskalpolitik. Und der Brexit fordert ebenfalls seinen Tribut, indem er nicht nur auf der Exportkonjunktur des Königreichs lastet sowie die Importe verteuert, sondern auch den Fachkräftemangel verschärft.
Dass Arbeitnehmer angesichts dieser Gemengelage auf die Straße gehen, ist wohl wenig verwunderlich. Streiks haben im Dezember wesentlich dazu beigetragen, dass die Wirtschaft wieder geschrumpft ist – die Konjunktur dürfte damit schon gebremst ins neue Jahr gestartet sein. Im Frühjahr ist durch höhere Steuern und auslaufende Investitionsanreize zudem mit einem empfindlichen Rückschlag bei der Investitionstätigkeit zu rechnen. Die Rezessionsgefahr ist also noch längst nicht gebannt. Wir rechnen mit einem BIP-Minus für Großbritannien von 0,7% in diesem Jahr.
-- Monika Boven