Flucht in Flüssiggas
Die gute Nachricht: Es kann gelingen! Bis 2024 wird wohl hinreichend LNG-Gas verfügbar sein. Bis dahin wird es eng, aber unter Einsatz der Reserven sowie Sparanstrengungen machbar. Die schlechte Nachricht: Es wird teuer! Die Gaspreise in Deutschland dürften spürbar steigen, der Staat investiert mind. 5 Milliarden Euro in die LNG-Infrastruktur, die (immerhin) später für (grünen) Wasserstoff genutzt werden kann.
Der russische Angriff auf die Ukraine hat die gravierenden Fehler der Vergangenheit in der deutschen Energieversorgung, insbesondere im Hinblick auf die Versorgungssicherheit, offengelegt. Bis Ende 2021 bezog Deutschland rund 55% der Erdgasimporte, das entspricht rund 56 Mrd. Kubikmeter, aus Russland. Davon wurden hier nach Weiterleitungen in Drittländer 40-44 Mrd. Kubikmeter verbraucht. Jetzt rächt es sich, dass die Erdgasspeicher zu Beginn des Jahres nur zu 25% gefüllt waren und die lange geforderten Flüssiggas (LNG)-Terminals fehlen.
In einem Wettlauf mit der Zeit versucht die Bundesregierung nun, Deutschland von russischen Erdgasimporten unabhängig zu machen. Kernpunkte der Kampagne sind der schnelle Aufbau einer eigenen schwimmenden LNG-Infrastruktur, der Zukauf von LNG-Kapazitäten sowie das Vorhalten von gesetzlichen Erdgasspeicherreserven. Dazu werden bereits ab 2023 fünf sogenannte schwimmende Speicher- und Regasifizierungseinheiten (Englisch: Floating Storage and Regasification Units; Abkürzung: "FSRUs") als LNG-Terminals bereitgestellt.
Schwer prognostizierbar sind die zukünftigen russischen Gaslieferungen, da sie von Putin als strategisches Druckmittel gegen Deutschland eingesetzt werden können. Die Bundesnetzagentur sieht verschiedene Szenarien, wie sich die Gaslage in Deutschland entwickeln kann. In einer ersten Grundannahme geht sie davon aus, dass Putin über Nord Stream 1, nach dem Wartungsstopp im Juli, wie zuvor mindestens 40% der Kapazitäten liefern wird. In dem anderen Basisszenario geht sie von einem permanenten russischen Gasstopp aus. Nur im ersten Fall können die von der Bundesregierung vorgegebenen Ziele der Speicherfüllstände erreicht und die Versorgungssicherheit gewährleistet werden. Bleibt der Gashahn verschlossen, wären selbst im günstigsten Fall deutliche Gassparmaßnahmen und die Reduzierung der Gasspeicherfüllstände nötig. Wir prognostizieren, dass durch den Aufbau der deutschen LNG-Infrastruktur bis Ende 2023 weitgehende Unabhängigkeit von russischen Gasimporten erreicht werden kann. Ab Ende 2024 sollen die fünf Floating-LNG-Terminal-Schiffe sukzessive durch drei LNG-Terminals an Land abgelöst werden, die später voraussichtlich auch für (grünen) Wasserstoff oder Ammoniak genutzt werden können.
-- Peter Spengler