Die fiskalische Kehrseite einer sinkenden Inflation

Die sinkenden Schuldenstandsquoten in einigen Eurostaaten infolge hoher Inflationsraten sind eine Momentaufnahme. Ohne Sparmaßnahmen droht die Gesamtverschuldung bald wieder deutlich zu steigen – einschließlich neuer Risiken für die Finanzmärkte.
 


Hohe Inflationsraten sind per se nichts Gutes. Zu den wenigen Profiteuren der Teuerung zählen allerdings die Finanzminister. Die Schuldenstandsquoten werden 2023 in einigen Staaten der Eurozone sinken, obwohl die Wirtschaft lahmt und viele Staatshaushalte weiterhin hoch defizitär sind. Der Grund hierfür: Die Schuldenstände im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung werden nicht in realen, sondern in nominalen BIP-Größen angegeben, sodass die gegenwärtig hohe Inflation einen positiven Effekt hat. Besonders markant ist die Entwicklung in Italien. Die Regierung von Ministerpräsidentin Meloni plant für dieses Jahr eine Ausweitung der Neuverschuldung von 4,5 auf etwa 5,0% des BIP, während die reale Wirtschaftsleistung allenfalls leicht zulegen wird. Dennoch wird die Schuldenstandsquote von mehr als 144% (Ende 2022) bis Jahresende merklich sinken.

 

Was für den Augenblick nach einer Entspannung der Lage klingt, könnte sich in den kommenden Jahren in ein handfestes fiskalisches Dilemma umkehren. Für 2024 ist mit einem spürbaren Rückgang der Inflation zu rechnen, was sicherlich vor allem die viel belasteten privaten Haushalte freuen wird. Die wirtschaftliche Dynamik in Europa, ganz besonders aber in den industriell geprägten Ländern wie Italien, die unter den hohen Energiepreisen leiden, wird jedoch allenfalls moderat zulegen. Umso mehr wären die Finanzminister gefordert, auf die Ausgabenbremse zu treten. Danach sieht es allerdings nicht aus. Rom diskutiert für 2024 nunmehr sogar eine Ausweitung der Neuverschuldung von 3,7 auf rund 4,0% des BIP. Da zudem auch die Refinanzierungssätze des Staates deutlich gestiegen sind, drohen die Schuldenstandsquoten bereits im kommenden Jahr wieder zuzulegen. Das Vor-Corona-Niveau beim Schuldenstand wird Italien ebenso wie Frankreich auf absehbare Zeit nicht erreichen. Im Gegenteil. Der seit Jahren andauernde Schuldenanstiegstrend setzt sich fort.

 

Inzwischen sind die Rahmenbedingungen für hohe Staatsschulden aber deutlich schlechter als noch vor wenigen Jahren. Wenn die Marktrenditen nicht wieder sinken, werden immer mehr Anleihen sukzessive auslaufen, die bislang niedrig verzinst waren, und wesentlich teurer refinanziert werden müssen. Die Ausgaben für den Schuldendienst steigen somit erst mit Verzögerung gegenüber dem Renditehoch an den Märkten, aber dann mit zunehmender Wucht. Die Politik sieht sich in einem Dilemma. Die fiskalische Vernunft spricht für konsequente Sparmaßnahmen, die Herausforderungen der wirtschaftlichen Transformation erfordern aber höhere Investitionen. Finden Rom und Paris hierzu keine Lösung, die in einer Konsolidierung der konsumtiven Ausgaben liegen könnte, ist es mit der derzeitigen Ruhe am Staatsanleihemarkt bald vorbei. Größere Risiken auch von Ratingherabstufungen werden dann wieder steigende Risikoprämien begünstigen.

 

-- Daniel Lenz