Wie viel Rezession steckt jetzt noch in den Aktienkursen drin?

Aktien haben ein gutes Stück der Konjunktursorgen abgelegt. Der Markt ist aber nicht heißgelaufen, und es besteht kein Grund wieder auszusteigen.

 

Eine wahrscheinliche Entschleunigung bei der US-Geldpolitik und pragmatischere Corona-Maßnahmen in China, das sind die Lichtblicke, die die jüngste Aktienmarktrally befeuert haben. Die neuen Kursstände suggerieren, dass Anleger zumindest einen Teil ihrer Konjunktursorgen nun abgelegt haben, obwohl den Ökonomen zufolge eine Konjunktureintrübung direkt vor der Tür steht. Aber wie viel Rezession steckt jetzt eigentlich noch in den Aktienkursen drin?

 

Die nackte unverblümte Wahrheit lautet „eigentlich gar nichts mehr“. Nach der jüngsten Rallye sind in den gestiegenen Kursen wieder Gewinnerwartungen für 2023 eingepreist, die einem normalen durchschnittlichen Börsenjahr gleichkommen. Eigenen Berechnungen zufolge reflektieren die Indexniveaus von DAX und S&P 500 derzeit ein Gewinnwachstum von 6% bzw. 8% im nächsten Jahr. Das heißt aber weder, dass der Markt heißgelaufen ist, noch dass zu viele Vorschusslorbeeren verteilt wurden, und vor allem nicht, dass man jetzt wieder aussteigen muss. Ganz im Gegenteil.

 

Das Jahr 2022 kann zwar als Krisenjahr bezeichnet werden, aber in erster Linie aus Sicht der Anleger und nicht aus Sicht der Unternehmensgewinne. Diese sind entgegen aller Erwartungen sehr robust geblieben. Die großen gelisteten Aktiengesellschaften in den Blue-Chip-Indizes beweisen dadurch eine hohe Ergebnisresilienz aufgrund ihrer Preissetzungsmacht, ihres flexiblen Wirtschaftens und der starken Geschäftsmodelle. Dennoch preisten Aktien bis vor Kurzem noch eine Konjunktureintrübung in Form von Gewinneinbußen oder gar Buchverlusten für Unternehmen konkret ein. Es hatte sich gezeigt, dass zwischen Juli und September, in der Hochphase der Ängste über die zukünftige Gasversorgung in Deutschland, sogar ein echter Buchverlust für DAX-Unternehmen von über 2% für 2022 in den Kursen enthalten war. Dabei konnte jedoch nie gesagt werden, wie viel „eingepreiste Rezession“ dies genau darstellte, weil es schlicht keine geeignete Referenz dafür gibt, auch wenn einige Analysehäuser dies zu wissen scheinen. Die vergangenen Rezessionsphasen wie Corona 2020 oder die Finanzkrise 2008 waren ein ganz anderes Umfeld, sie entsprachen echten Weltuntergangsszenarien. Davon war und ist dieses Jahr jedoch nie die Rede gewesen. Nachdem nun in diesem Jahr schon über drei von vier Quartalen berichtet wurde, steuern wir aktuell auf 5% bis 7% Gewinnwachstum allein in diesem Jahr zu – das ist kein Gewinneinbruch, das ist kein Krisenjahr.

 

Wichtig ist, dass die positiven Nachrichten in der jüngeren Vergangenheit die Horrorszenarien ein Stück verblassen ließen und damit den übertriebenen Anlegerpessimismus reduzierten. Weitere positive Nachrichten über die Kapitalmarkt-Großbaustellen Inflation, Geldpolitik und Coronapolitik in China dürften den Markt weiter antreiben. Wir sehen in diesem Umfeld weiterhin Nachholbedarf, vor allem für europäische Zykliker, diese sollten bei der Aktienauswahl übergewichtet werden.

 

-- Sven Streibel


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