2024 – das Jahr der Leitzinssenkungen

Die aktuellen Hoffnungen des Marktes auf schnelle und deutliche Leitzinssenkungen im Jahr 2024 halten wir für übertrieben. Die EZB dürfte erst im vierten Quartal 2024 die Zinswende einläuten, da die Kerninflation hoch bleibt. Die US-Notenbank wird im Umfeld der US-Präsidentschaftswahl nur einen vorsichtigen Zinssenkungspfad einschlagen.
 


Eine der zentralen Fragen im Jahr 2024 dürfte sein, wann und wie oft die Notenbanken die Leitzinsen senken werden. Sollte die Konjunktur stark einbrechen und der Preisdruck in diesem Umfeld rasch nachlassen, könnten die Notenbanken die Leitzinsen im kommenden Jahr wieder zügig senken. Dieses in der Vergangenheit häufig zu beobachtende Muster bei einer restriktiven geldpolitischen Ausrichtung ist derzeit aber unwahrscheinlich. Sowohl in den USA als auch im Euroraum rechnen wir lediglich mit einer Schwächephase in den Wintermonaten, da die robusten Arbeitsmärkte dies- und jenseits des Atlantiks ein deutliches Schrumpfen der Wirtschaftsleistung verhindern dürften. In beiden Wirtschaftsräumen führen die verhaltenen Konjunkturaussichten ohne tiefe Rezession daher nur zu einem langsam nachlassenden Preisdruck im Verlauf des Jahres 2024. Die anhaltend hohen Inflationsraten verhindern daher eine vorzeitige Lockerung der Geldpolitik durch die Notenbanken.

 

Wir gehen daher davon aus, dass die Leitzinsen der EZB noch längere Zeit hoch bleiben werden. Die geldpolitische Wende erwarten wir im vierten Quartal 2024 mit zwei Leitzinssenkungen um jeweils 25 Basispunkte. Die Marktteilnehmer gehen hingegen von einer schnelleren Lockerung der Geldpolitik aus. Gemessen an den Geldterminsätzen wird eine erste Leitzinssenkung marktseitig für April/Juni erwartet. Im weiteren Jahresverlauf rechnen die Marktakteure mit einem Rückgang des Einlagesatzes um etwa 100 Basispunkte. Ein weiteres wichtiges Thema für die Finanzmärkte dürfte der Abbau der Zentralbankbilanz sein. Der weitere Abbau der EZB-Bilanzsumme wird im Jahr 2024 nach unserer Einschätzung nur sehr langsam und graduell erfolgen. Dies könnte zu Diskussionen führen, ob die europäischen Währungshüter hier nicht mehr tun müssen. Aktive Verkäufe von Wertpapieren dürften aber nicht auf der Agenda stehen. Eher könnten sich die Währungshüter dazu entschließen, fällig werdende Anleihen aus dem Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) nicht mehr zu reinvestieren. 

 

In den USA ist die Inflationsrate, insbesondere die wichtige Kernrate, zuletzt überraschend deutlich zurückgegangen. Verschiedene Faktoren dürften jedoch dafür sorgen, dass der Disinflationstrend nur allmählich voranschreitet. Bei einer lediglich moderaten konjunkturellen Abschwächung sollte die Arbeitslosigkeit insgesamt niedrig bleiben. Zudem werden die Realeinkommen bei anhaltend hohen Lohnzuwächsen und tendenziell sinkenden Inflationsraten steigen. Dies stützt die so wichtige Kaufkraft der Verbraucher und dürfte sich auch über eine robuste Nachfrage auf die Preisentwicklung auswirken. Gemessen am Inflationsziel der US-Notenbank wird der Preisdruck für längere Zeit zu hoch bleiben. Eine rasche Lockerung der Geldpolitik können sich die US-Währungshüter nicht leisten. Wir rechnen mit insgesamt drei Zinssenkungen bis 2024. Das Problem der Fed ist allerdings, dass sie im unmittelbaren Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen kaum Zinssenkungen vornehmen wird. Zu groß ist das Risiko, dass den Währungshütern politische Einflussnahme vorgeworfen wird. Im aktuellen politischen Umfeld, das stark polarisiert ist und in dem die Umfrageergebnisse nahe beieinander liegen, dürfte die Fed kurz vor den Wahlen keine wichtigen geldpolitischen Entscheidungen treffen wollen. Das Fenster für eine Lockerung der sehr restriktiven Geldpolitik könnte sich im Juni und Juli öffnen. Danach dürfte die Fed die Leitzinsen aus politischen Gründen bis nach der Wahl unverändert lassen. Einen dritten Zinsschritt nach unten erwarten wir dann für die Dezember-Sitzung der US-Notenbank.

 

-- Birgit Henseler


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