Rohöl: Knapperes Angebot zeigt Wirkung – Rückschlagrisiko nimmt zu

Ein Mix aus entschlossenen Angebotskürzungen und robuster Nachfrage treibt derzeit den Rohölpreis. Mittelfristig überwiegen mittlerweile die Rückschlagrisiken.
 

Der Rohölpreis scheint sich für die zweite Hälfte dieses Jahres einiges vorgenommen zu haben. Waren die ersten sechs Monate von einer moderaten Abwärtstendenz geprägt, die das Preisniveau der Sorte Brent im Juni zeitweise bis in die Region um 70 USD je Barrel abrutschen ließ, ging es seit Anfang Juli dynamisch bergauf. Im September gelang dabei sogar erstmals seit Herbst vergangenen Jahres wieder der Sprung in den Bereich um 95 USD.

 

Angebotsverknappung und unerwartet robuste Nachfrage

Einen wesentlichen Beitrag zur Aufwärtsbewegung der vergangenen beiden Monate haben Maßnahmen vonseiten der OPEC+ geleistet. Bereits im April wurden erste freiwillige Förderkürzungen auf den Weg gebracht. Im Juni und September wurden die Schritte verlängert bzw. ergänzt. Vor allem Saudi-Arabien präsentiert sich entschlossen, das Preisniveau durch Drosselungen – auch auf Kosten eigener Marktanteile – zu stützen. Flankiert wird das Emirat von Russland, das zuletzt bekanntgab, eigene Kürzungen beizubehalten. Dabei waren es nicht nur die nackten Zahlen, die den Rohölpreis klettern ließen. Vielmehr haben Entschlossenheit und Glaubwürdigkeit der beiden größten Mitglieder der OPEC+ bei den Marktteilnehmern Eindruck hinterlassen.

 

In die Hände gespielt hat den Vertretern der OPEC+ außerdem die Nachfrageseite. Als eine Art Initialzündung fungierte in diesem Zusammenhang das Auspreisen der US-Rezession, die an den Rohstoffmärkten im Sommer nach und nach einsetzte. In China trübten sich die konjunkturellen Rahmenbedingungen in diesem Zeitraum zwar zunehmend ein. Die Nachfrage nach Rohöl aus dem Reich der Mitte scheint sich hiervon allerdings wenig beeindrucken zu lassen, deuteten entsprechende Importzahlen doch zuletzt auf ein rekordverdächtiges Niveau hin. Hinzu kommen niedrige kommerzielle Lagerbestände in den OECD-Nationen und bei der strategischen US-Reserve. Üppige Polster, um steigenden Preisen über einen längeren Zeitraum hinweg etwas entgegensetzen zu können, dürften anders aussehen.

 

Fraglich ist, inwieweit diese Komponenten ausreichen, um das aktuell erreichte Niveau zu verteidigen. Insbesondere die für den weiteren Verlauf des Jahres zu erwartenden konjunkturellen Rahmenbedingungen lassen berechtigte Zweifel aufkeimen. So mögen die USA zwar an einer Rezession vorbeischrammen. Mit einer ausgeprägten Schwächephase der dortigen Wirtschaft ist unseres Erachtens aber zu rechnen. Der Euroraum dürfte zudem um zwei Quartale mit negativem Wachstum nicht herumkommen, während Chinas Wirtschaft mit einem angeschlagenen Immobilienmarkt und zurückhaltenden Verbrauchern zu kämpfen hat. Erschwerend hinzu kommt, dass die Angebotsseite kaum noch bereit sein dürfte, neuerliche Maßnahmen zur Stützung des Preisniveaus zu ergreifen.

 

Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass der Rohölpreis in den nächsten Monaten zumindest einen Teil der jüngsten Gewinne wieder abgeben muss. So rechnen wir für den Zeitraum von drei bis sechs Monaten mit einem Rohölpreis im Bereich von 85 USD. Erst auf Jahressicht besteht unseres Erachtens, getrieben von weltweit besseren Konjunkturdaten, nachhaltig Luft bis in die Region um 95 USD.

 

-- Sören Hettler


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