Mittel- und Osteuropa: Vom Sorgenkind zum Wachstumsmotor

Obwohl die Wirtschaftsaussichten für Mittel- und Osteuropa nach Kriegsausbruch in der Ukraine zunächst trüb schienen, zählen die MOE-Staaten nun zu den wachstumsstärksten Volkswirtschaften in der EU.

 

 

Positive Wirtschaftsnachrichten mögen in den letzten Monaten rar gesät gewesen sein – die Volkswirtschaften Mittel- und Osteuropas (MOE) haben aber eine Spitzenplatzierung verdient. Mit Kriegsausbruch in der Ukraine wurden sie angesichts enger Handelsbeziehungen zu Russland, einer hohen Abhängigkeit von russischen Energieimporten und industrielastigen Wirtschaftssektoren schnell zu europäischen Sorgenkindern erklärt. Wer hätte gedacht, dass ebendiese Länder nun mit den höchsten Wachstumsraten in der EU auftrumpfen?

 

Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der schnellen Anpassungsfähigkeit. Zwar brachen die Exporte der offenen MOE-Volkswirtschaften nach Russland 2022 deutlich ein, allerdings konnte dieser Rückgang durch Exportsteigerungen in andere Märkte wettgemacht werden. So befindet sich der deutsche Handel mit Mittel- und Osteuropa auf einem neuen Höchststand. Der Handelsumsatz mit den acht von uns betrachteten MOE-Staaten legte 2022 jeweils im zweistelligen Prozentbereich zu. Auch die Leistungsbilanzdefizite, die sich im vergangenen Jahr nochmals deutlich verschärft hatten, bauen sich angesichts gesunkener Energiepreise wieder etwas ab. Damit konnten Polen, Kroatien, Slowenien, Litauen, Ungarn und Rumänien zwischen 2019 und 2022 ein stärkeres reales Wirtschaftswachstum erzielen als die meisten EWU-Staaten.

 

Einige Belastungsfaktoren bleiben jedoch bestehen. Solange der russische Angriffskrieg in der Ukraine anhält, sind insbesondere die baltischen Staaten von einem erhöhten geopolitischen Risiko betroffen. Zudem haben die Folgen der Corona-Pandemie und des Krieges die Inflationsraten in den MOE-Staaten noch mehr als in Westeuropa in die Höhe getrieben. Mittlerweile sind diese auf einem deutlichen Abwärtstrend, allerdings könnte der Fachkräftemangel einem schnellen Rückgang des Lohnwachstums und damit der Kerninflation entgegenstehen.

 

Diese Gemengelage an Einflussfaktoren spiegelt sich auch bei den Euro-denominierten Anleihen der MOE-Staaten wider. Deren Risikoaufschläge gegenüber Swaps (ASW-Spreads), also den Referenzzinssätzen für Zinstauschgeschäfte zwischen Banken, haben sich im bisherigen Jahresverlauf nahezu stetig eingeengt. Besonders ausgeprägt war diese Entwicklung wegen der höheren Ausgangsniveaus bei den bonitätsschwächeren Emittenten Ungarn und Rumänien. In der Gruppe der bonitätsstärkeren Emittenten ist es zu einer zunehmenden Homogenisierung auf einem Niveau von rund 50 Basispunkten im siebenjährigen ASW-Spread gekommen. Lediglich slowenischen und polnischen Anleihen ist es jüngst gelungen, sich mit noch stärkeren Spreadeinengungen gen Süden abzusetzen. 

 

-- Sophia Oertmann


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