Italiens Krise trifft Europa und die EZB zur Unzeit

Italien dürfte Neuwahlen im Herbst vermeiden wollen, wenn eine stabile Gasversorgung für die EU auf dem Spiel steht. Und die EZB steht vor der Entscheidung, ob sie zukünftig als innenpolitische Krisenfeuerwehr agieren möchte.

 

Einen guten Zeitpunkt für Regierungskrisen gibt es wohl eher selten. Die gegenwärtige politische Krise in Italien kommt aber sowohl für das Land als auch für die ganze EU zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Nachdem Staatspräsident Mattarella das Rücktrittsersuchen von Premier Draghi gestern abgelehnt hat, zeichnet sich eine wochen- oder gar monatelange politische Hängepartie in Italien ab. Noch ungünstiger: Die Krise wurde ausgerechnet durch einen Streit über ein Gesetzespaket zur Abfederung der sozialen Folgen der auch durch den Krieg in der Ukraine überschießenden Inflation ausgelöst. Damit steht fest, was von Beginn des Kriegs an zu befürchten war: Die politische Einigkeit, wie auf die ökonomischen und politischen Herausforderungen des Kriegs in der Ukraine zu reagieren ist, droht in Italien und womöglich auch in anderen EU-Staaten aufzubrechen. Dies schwächt nicht nur den Zusammenhalt in der EU, es setzt Russland sogar noch Anreize, Energie- und vor allem Gaslieferungen als politische Waffe gegen Europa einzusetzen. Im Fall von Italien könnte dies ausgerechnet die politischen Kräfte am rechten Rand stärken, die einerseits EU-kritisch und andererseits in Teilen dem Kreml freundlich zugeneigt sind. Italiens Staatspräsident dürfte daher alles daran setzen, Neuwahlen ausgerechnet im Herbst, wenn eine stabile Gasversorgung für die EU im bevorstehenden Winter auf dem Spiel steht, zu verhindern. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Italien bis zu den regulären Wahlen im Frühjahr kommenden Jahres politisch nahezu gelähmt sein könnte.

 

Aber nicht nur in Brüssel, Berlin und Paris dürften ob des Streits in Rom die Sorgenfalten noch tiefer werden. Auch die EZB steht unter Druck, in der kommenden Woche ein Antifragmentierungsinstrument (TPM), das die Märkte hinreichend überzeugt, zumindest in Aussicht zu stellen. Hierbei dürfte es innerhalb des EZB-Rates auch um die Frage gehen, ob es an der EZB liegt, den Markt über Anleiheneukäufe zu stabilisieren, wenn die Spreads nicht wegen allgemeiner Marktverwerfungen, sondern wegen landesspezifischer politischer und fundamentaler Risiken steigen. Erklärt sich die EZB tatsächlich bereit, innenpolitische Krisen wie derzeit in Italien bedingungslos abzufedern, nimmt sie indirekt auch politischen Einfluss. Die EZB, die seit Jahren bereits als Risikomanagerin des Finanzmarktes agiert, könnte dann auch noch in die Rolle einer Krisenfeuerwehr zur Abfederung politischer Streitigkeiten hineinwachsen. Die Märkte dürfte dies zwar freuen, die ohnehin hohe Abhängigkeit der Peripherie-Staaten von der Geldpolitik drohte dann aber noch weiter zuzunehmen.

-- Daniel Lenz