Intensive Anpassungsphase am EWU-Rentenmarkt

Hohe Inflationsraten und konkreter werdende Andeutungen einer geldpolitischen Wende haben zu einem Anstieg der Renditen und Swapsätze in der EWU geführt.

 

 

 

Am Rentenmarkt findet derzeit eine intensive Anpassungsphase statt. Der primäre Impulsgeber war zweifelsohne der rasante Anstieg der Inflation. Diese Entwicklung hat den Anstoß für eine baldige restriktivere geldpolitische Gangart gegeben. Damit wurden die seit Jahren vorherrschenden Rahmenbedingungen mit einem Schlag über den Haufen geworfen. In den zurückliegenden Jahren hatte die EZB mit ihren geldpolitischen Entscheidungen die Marktkräfte nahezu vollständig außer Kraft gesetzt und zu einer massiven Verzerrung am Rentenmarkt beigetragen. Diese Situation kehrt sich gerade um und offenbart die Verletzlichkeit der Märkte gegenüber abrupten Änderungen der Rahmenbedingungen. Die EZB wird schon bald ihre Anleihekäufe beenden, und auch Leitzinserhöhungen stehen wieder auf der Agenda. Das mit der ultra-expansiven Geldpolitik verabreichte Valium für die Finanzmärkte wird nun Stück für Stück entzogen. Die Rentenmärkte sind jäh erwacht. Es stellt sich die Frage, ob mit einer Fortsetzung der intensiven Anpassungsphase zu rechnen ist.

 

Um diese Frage zu beantworten, haben wir untersucht, wie sich in der Vergangenheit die Swapsätze 50 Tage nach einem sehr kräftigen Anstieg verändert haben. Insgesamt konnten wir fünf Perioden identifizieren, in denen der fünfjährige Swapsatz innerhalb von 100 Tage mehr als 100 Basispunkte angestiegen ist. In vier von fünf Fällen sind die Swapsätze in den folgenden 50 Tagen wieder gesunken. Nur einmal kam es zu einem weiteren, sehr moderaten Anstieg. Erfahrungen der vergangenen Jahre deuten demnach darauf hin, dass sich die jüngst gesehene Verkaufswelle zumindest kurzfristig als übertrieben erweisen sollte.

 

Für einen erneuten Rückgang der Renditen sowie Swapsätze braucht es einen Auslöser. Der Casus knacksus bleibt dabei die Inflationsrate, die in den zurückliegenden Monaten die Entwicklung an den Märkten dominiert hat. Zwar dürfte die Inflationsrate noch nicht ihren Höhepunkt erreicht haben, die Aufwärtsdynamik sollte sich in den kommenden Monaten jedoch abschwächen. Im weiteren Verlauf des Jahres sollte gar ein moderater Rückgang bei der Inflationsrate einsetzen. Derzeit sind rund 60% des Anstiegs der Inflationsrate auf die Energiekomponente zurückzuführen. Die Energiepreise müssten nochmals deutlich steigen, um den Preisdruck in dem zuletzt gesehenen Maße aufrechtzuerhalten. Natürlich sind steigende Energiepreise angesichts des anhaltenden Ukraine-Russland-Krieges nicht ausgeschlossen. Solange es jedoch nicht zu einem vollständigen Stopp der Gaslieferungen aus Russland kommt, dürften die Inflationsraten ausgehend von den Energiepreisen im zweiten Halbjahr nachgeben.

 

Alles in allem gehen wir davon aus, dass der Spielraum für einen weiteren kräftigen Anstieg der Swapsätze zunächst ausgereizt ist. Nach dem dynamischen Anstieg in den vergangenen Wochen könnten die Swapsätze vorübergehend sogar moderat niedriger notieren. Angesichts der Abkehr von der ultra-expansiven Geldpolitik halten wir jedoch mittelfristig deutlich höhere Swapsätze sowie eine höhere Volatilität als in der Vergangenheit für wahrscheinlich.

 

-- Birgit Henseler