Flache Renditestrukturkurve bremst Leitzinserhöhungen
Die US-Notenbank wird die Leitzinsen wahrscheinlich schon im März anheben. Weitere, teils deutliche Leitzinserhöhungen werden in diesem Jahr folgen. Bemerkenswert ist in diesem Umfeld, dass die Renditestrukturkurve zu Beginn einer geldpolitischen Straffung selten so flach war. Der Renditeunterschied zwischen zwei- und zehnjährigen Anleihen beträgt gerade einmal 60 Basispunkte. Ein Grund hierfür ist, dass die Zweijahresrenditen seit Dezember des vergangenen Jahres angestiegen sind. Eine flache Renditestrukturkurve gilt allgemein als verlässlicher Vorbote einer konjunkturellen Abschwächung. Eine inverse Kurve gar als Rezessionsbote.
In der Eurozone ist ein ähnliches Bild zu beobachten. Auch hier haben die Erwartungen über eine weniger expansive Geldpolitik (beziehungsweise Anhebungen des Einlagesatzes) zu einer Verflachung der Renditedifferenz zwischen den zwei- und zehnjährigen Bundesanleihen geführt. Der 2/10-Spread liegt derzeit lediglich bei 50 Basispunkten. Da die Zinsstrukturkurve ein Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung ist, könnten sich die Zentralbanken scheuen, mit Leitzinsanhebungen für eine inverse Renditestrukturkurve zu sorgen. Die (mangelnde) Steilheit der Renditestrukturkurve begrenzt damit den Spielraum für Leitzinserhöhungen, da bei einer inversen Kurve in der Regel schnell Sorgen über eine Rezession aufkommen würden.
Es gibt verschiedene Gründe für die zu beobachtenden geringen Renditeabstände zwischen den zwei- und zehnjährigen Laufzeiten. Die Zehnjahresrenditen sind zwar zuletzt gestiegen. Angesichts von Inflationsraten jenseits von sieben Prozent (USA) beziehungsweise fünf Prozent (Eurozone) ist diese Bewegung jedoch relativ moderat ausgefallen. Dies mag zunächst an den Beteuerungen der Notenbanken liegen, dass der Inflationsanstieg temporärer Natur ist. Außerdem entsprach die konjunkturelle Entwicklung in den zurückliegenden Quartalen coronabedingt eher einer Wellblechkonjunktur. Es kam also nicht zu einem nachhaltigen Aufschwung, der in der Regel zu deutlich höheren Renditen am langen Ende der Kurve geführt hätte.
Der Hauptgrund für die niedrigen zehnjährigen Renditen dürfte jedoch sein, dass sowohl die EZB als auch die US-Notenbank Renditebewegungen am langen Ende der Renditestrukturkurve unter Kontrolle halten, indem sie Wertpapiere kaufen beziehungsweise gekauft haben. Ausgebremst wird der Anstieg der zehnjährigen Renditen damit durch den Bestandseffekt. Unter dem Bestandseffekt versteht man, dass die Notenbanken einen beträchtlichen Anteil der verfügbaren Wertpapiere aufgekauft haben. Dieser Bestand in der Bilanz einer Notenbank ist somit vom Markt genommen und begrenzt mögliche Renditebewegungen. Die angekündigte Bilanzreduktion der US-Notenbank könnte die Verflachung der Renditestrukturkurve jedoch bremsen, da hierdurch die zehnjährigen Renditen zumindest leicht steigen sollten. Da der Bilanzabbau zudem einer geldpolitischen Straffung gleichkommt, muss die Fed eventuell nicht so fest die Notbremse in Form von Leitzinserhöhungen ziehen, wie es einige Marktteilnehmer derzeit erwarten. In der Eurozone besteht aufgrund der Abhängigkeit vieler EWU-Staaten von den Anleihekäufen der EZB weniger Handlungsspielraum für eine Bilanzreduktion als in den Vereinigten Staaten. Hebt die EZB den Einlagesatz an, dürfte die Renditestrukturkurve bis auf Weiteres recht flach bleiben oder sich nochmals verflachen. Ein kompletter Leitzinserhöhungszyklus, wie er in den Vereinigten Staaten antizipiert wird, ist aus momentaner Sicht für die EZB jedoch eher unwahrscheinlich.
-- Birgit Henseler