Am Rentenmarkt ziehen dunkle Wolken auf
Die zehnjährigen Bundrenditen kennen seit mehreren Monaten nur eine Richtung: nach oben. Als Triebfeder des kräftigen Renditeanstiegs werden in erster Linie die gestiegenen Inflationserwartungen angeführt. So haben sich die Befürchtungen belebt, dass die Inflation ein unerwartetes und vor allem längerfristiges Come-back feiern könnte. Gleichzeitig haben die Marktteilnehmer eine Neubewertung der geldpolitischen Ausrichtung der EZB vorgenommen. In den kommenden Wochen gibt es unseres Erachtens weiterhin primär zwei Impulsgeber für die Entwicklung der Bundesanleihen: Inflation und Geldpolitik.
Obwohl die Inflationsrate schon kräftig gestiegen ist, dürfte der Inflationsgipfel erst gegen Ende dieses Jahres erreicht werden. Ausklingende Basiseffekte werden dann rein rechnerisch und damit unweigerlich dazu führen, dass die Inflationsraten Anfang des kommenden Jahres wieder fallen. Da die Inflationserwartungen in der Regel stark durch die jeweils aktuelle Inflationsrate beeinflusst werden, dürfte sich hier in den kommenden Monaten ebenfalls eine Entspannung ergeben.
Für die zehnjährigen Renditen bedeutet dies, dass mit steigenden Inflationsraten und damit einhergehend auch mit steigenden Inflationserwartungen, der Druck auf die Kurse der Bundeswertpapiere zunächst zwar noch hoch bleiben könnte. Unseres Erachtens haben die Renditen jedoch bereits einen Großteil der Inflationssorgen der Marktteilnehmer in den Kursen antizipiert. Mit dem basisbedingten Rückgang des Preisdrucks Anfang des Jahres sollte sich der Einfluss der Inflationserwartungen auf die Renditen dann nicht nur nachlassen, sondern wieder umkehren.
Viele Marktteilnehmer hatten in den vergangenen Jahren die Inflation in der Eurozone für tot erklärt. Mit dieser Annahme ging gleichzeitig die Auffassung einher, dass die EZB „nie mehr“ oder zumindest nicht für die kommenden Jahre die Leitzinsen anheben werde. Diese Erwartung wurde mit dem jüngsten Inflationsanstieg jedoch auf den Prüfstand gestellt. Leitzinserhöhungen scheinen wieder möglich zu sein, und zwar nicht erst am Sankt Nimmerleinstag. Manche Marktteilnehmer gehen sogar so weit und befürchten, dass die hohe Inflation die Notenbanken zu einem schnellen und vielleicht sogar aggressiven Handeln zwingen könnte. Marktseitig haben sich daher zuletzt Zinserhöhungsfantasien belebt. Unserer Einschätzung nach werden die europäischen Währungshüter keinen schnellen geldpolitischen Wechsel vorantreiben. Die EZB wird sich aber von ihrer Politik der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie verabschieden. In den kommenden Monaten wird es die Aufgabe der EZB sein, einerseits die Notfallhilfen zu kürzen, andererseits aber beruhigend auf die Märkte einzuwirken, um unerwünschte Nebenwirkungen für die Märkte und damit auch für die Konjunktur zu vermeiden.
Die nachlassenden Inflationsraten sowie die damit einhergehenden Spekulationen über einen raschen Kurswechsel der EZB werden in den kommenden Monaten wieder in den Hintergrund rücken. Der jüngst gesehene Ausverkauf am Rentenmarkt dürfte sich daher nicht fortsetzen.
-- Birgit Henseler