Euro in den Fängen der geldpolitischen Tauben

Die Vertreter des Eurosystems werden nicht müde, die Notwendigkeit einer sehr expansiven geldpolitischen Marschrichtung hervorzuheben. Meldungen von Mitte September, wonach EZB-Chefvolkswirt Lane mit dem Erreichen des Inflationsziels im Jahr 2025 rechne, und daraufhin marktseitig sehr vorsichtig aufkeimende Leitzinserhöhungsspekulationen für 2023 genügten, um umgehend ein Dementi vonseiten der EZB zu provozieren. Außerdem wurden offenbar die Anhänger einer lockeren Geldpolitik im EZB-Rat aufgeschreckt. Zusätzlich motiviert von jüngst wieder zunehmenden Inflationserwartungen an den Finanzmärkten und daraufhin steigenden Staatsanleiherenditen schießen die Tauben seither verbal aus allen verfügbaren Rohren.

 

Der Euro scheint sich diese Äußerungen sehr zu Herzen zu nehmen. Dies dürfte vor allem der Fall sein, weil andere Zentralbanken gänzlich anders auftreten. Die US-Notenbank sollte ihr monatliches Ankaufvolumen nicht nur auf absehbare Zeit reduzieren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sie diese Maßnahmen auch als das verkaufen, was es ist: eine Reduzierung der geldpolitischen Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft, die aufgrund einer voranschreitenden Konjunkturerholung und eines zunehmenden Preisdrucks angemessen und sinnvoll ist.

 

Für den Euro stellt die (verbale) geldpolitische Divergenz einen bedeutenden Belastungsfaktor dar. Solange die Europäische Zentralbank jeglichen geldpolitischen Schritt in Richtung einer Rückführung der ultra-lockeren Geldpolitik unter äußerster Vorsicht angeht und mit Erfolg den Eindruck erweckt, restriktive Impulse zu scheuen, fehlt der Gemeinschaftswährung die Rückendeckung. Dies gilt sowohl verglichen mit anderen Währungen, deren Zentralbanken weniger zurückhaltend auftreten, als auch gegenüber steigenden Inflationserwartungen unter Marktteilnehmern. Eine Konsequenz dieser Konstellation ließ sich vergangene Woche mit dem neuen Jahrestiefststand in Euro-Dollar unterhalb der Marke von 1,16 USD beobachten.

 

Ausblick: Ganz so leicht sollte sich der Euro nicht geschlagen geben

Dies bedeutet nicht, dass einem freien Fall in Euro-Dollar Tür und Tor geöffnet sind. Vielmehr teilen wir die Ansicht der hiesigen Währungshüter, wonach sich der aktuell hohe Preisdruck im kommenden Jahr (weltweit) spürbar zurückbilden wird. Dies nimmt perspektivisch Druck von den Zentralbanken und sollte die (verbale) geldpolitische Divergenz zwischen der EZB sowie anderen Notenbanken reduzieren.

 

-- Sören Hettler


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