Großbritannien kämpft mit Versorgungskrise an den Tankstellen

Ein akuter Mangel an Lastwagenfahrern sorgt in Großbritannien gerade für zunehmende Versorgungsengpässe. Schon seit Wochen gibt es Berichte über immer größere Lücken in den Regalen britischer Supermärkte, weil die Spediteure mit den Lieferungen nicht hinterherkommen. Jetzt hat die Krise auch die Tankstellen erfasst: Über das Wochenende zog es eine aufgeschreckte Bevölkerung an die Zapfsäulen zum „Hamster-Tanken“, weil Gerüchte die Runde machten, auch beim Treibstoff könnte die Versorgung eng werden. Es bildeten sich lange Schlangen an den Tankstellen, die diesem Ansturm nicht gewachsen waren und reihenweise schließen mussten, weil sie förmlich „trocken fielen“. Dadurch hat sich die angespannte Versorgungslage weiter zugespitzt.

 

Die aktuelle Problematik hängt auch mit dem Brexit zusammen, da der über Jahre lebhafte Migrationsstrom gerade osteuropäischer EU-Bürger nach Großbritannien seit dem EU-Referendum 2016 immer mehr abgenommen hat. Der Migrationsverlust macht sich seither in der Landwirtschaft, im Gesundheitswesen aber auch im Transportgewerbe bemerkbar. Verschärft hat sich dieses strukturelle Problem, als in Corona-Zeiten die Ausbildung neuer LKW-Fahrer ins Stocken geriet. Als schließlich in der aktuellen Corona-Welle auf den britischen Inseln immer mehr Arbeitnehmer in häusliche Quarantäne geschickt wurden, riss die Personaldecke vollends.

 

Die britische Regierung ist alarmiert und will notfalls das Militär zum Steuern der Tanklaster einsetzen. Damit ist sicherlich bald eine gewisse Entspannung absehbar. Darüber hinaus soll es kurzfristig 5000 Visa für ausländische Lastwagenfahrer geben. Dies allerdings ist nach Ansicht der Road Haulage Association kaum mehr als der berühmte „Tropfen auf den heißen Stein“, da ihrer Schätzung zufolge aktuell mindestens 100.000 ausgebildete Fahrer fehlen.

 

Derweil hat der „run“ auf die Tankstellen die Treibstoffpreise in der vergangenen Woche mächtig in die Höhe schnellen lassen. Für die Inflation, die sich mit 3,2% bereits jetzt oberhalb des Toleranzintervalls der Bank of England bewegt, ist das eine schlechte Nachricht: Sie dürfte sich in den kommenden Monaten noch weiter von diesem Zielkorridor entfernen als bislang gedacht.

 

Auch konjunkturell dürften die aktuellen Engpässe „Sand im Getriebe“ der wirtschaftlichen Erholung in Großbritannien darstellen. Das Wachstumstempo dürfte im laufenden Halbjahr wesentlich moderater ausfallen als während der Frühjahrsmonate. Dies allerdings unterstellen wir bereits seit einer geraumen Weile, weshalb wir aktuell keinen Anlass sehen, unsere vorsichtige Konjunkturprognose nach unten anzupassen.

 

-- Monika Boven

 


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