Evergrande – Droht ein chinesischer Lehman-Moment?

Die Sorge um die Insolvenz des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande macht die Runde. Wir erwarten, dass der chinesische Staat das Unternehmen retten wird. Ein Konkurs stände gegen die neue Wirtschaftspolitik des Landes und würde die ohnehin schon angeschlagene chinesische Konjunktur nachhaltig schädigen. Einen neuen "Lehman-Moment“ für die Weltwirtschaft erwarten wir nicht.

 

Es mehren sich die Befürchtungen, dass der chinesische Immobilienentwickler Evergrande (englisch für "immer großartig") vor der Insolvenz steht. Das Unternehmen verfolgte im Zuge des seit Jahren andauernden Immobilienbooms eine enorme Wachstumsstrategie. Diese fußte auf zwei Säulen: Kreditfinanzierung und die Spekulation auf weiter steigende Immobilienpreise. Viele chinesische Privatpersonen besitzen schon mehrere Wohnungen, von denen die meisten jedoch leer stehen. Evergrandes Verschuldung hat nun ein Level erreicht, auf dem die Zahlungsfähigkeit nicht mehr garantiert werden kann. Hinzu kommt seit letztem Jahr der Druck der chinesischen Regierung, die private Verschuldung einzudämmen, was sich in diesem Fall negativ auf die Immobilienpreise auswirkte.

 

Erleben wir gerade den Vorspann eines chinesischen Lehman-Moments wie er in den USA im September 2008 stattfand? Wir glauben, dass die chinesische Regierung dies zu verhindern weiß. Zu hoch wären die direkten und indirekten Kosten für die chinesische Volkswirtschaft, deren qualitative Stärkung ganz oben auf der Agenda der chinesischen Wirtschaftspolitik steht. Eine Insolvenz von Evergrande würde diesem Ziel abträglich sein. Die Hauptleidtragenden einer Insolvenz wären die heimischen Wohnungskäufer, die Lieferanten und die Beschäftigten des Unternehmens. Darüber hinaus könnte der Stress auf Banken und Finanzunternehmen übergreifen, was wahrscheinlich zu einer weitaus ernsteren Krise führen würde. Die chinesische Zentralbank hatte in den letzten Tagen bereits mit Liquiditätsspritzen gegengesteuert, um die Unruhe im Keim zu ersticken.

 

Ein chinesischer Lehman-Moment wie in den USA im September 2008 würde damit vermieden werden. Ohnehin ist Evergrande kein Finanzinstitut und nicht so global vernetzt wie Lehman Brothers es war. Dennoch dürfte die Volatilität an den Märkten in den kommenden Tagen hoch bleiben. Die Märkte werden sich erst wieder beruhigen, wenn die chinesische Regierung endgültig eingreift beziehungsweise ausstehende Zahlungen garantiert.

 

Der Megatrend China ist als Anlagethema zwar nach wie vor intakt, da die regulatorischen Maßnahmen letztlich der Stärkung des chinesischen Binnenmarktes dienen. Die Ereignisse der jüngeren Vergangenheit in Summe veranlassen uns jedoch zu Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber Neuanlagen in chinesischen Aktien.

 

Christian Kahler

Sven Streibel

 


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