EZB: Überraschung bleibt aus – Warten auf September
Die Spekulationen, wonach die EZB bereits zu dieser Sitzung eine Anpassung an den Wertpapier-Kaufprogrammen vornehmen könnte, wurden enttäuscht. Die Währungshüter haben keine grundlegende Anpassung an der geldpolitischen Marschrichtung vorgenommen. Allerdings wurde die Forward Guidance für die Leitzinsentwicklung angesichts des neuen Inflationsziels etwas modifiziert. Eine Leitzinserhöhung ist für die Notenbank-Oberen nunmehr so lange kein Thema, bis diese davon überzeugt sind, dass die Inflationsrate noch deutlich vor dem Ende des EZB-Projektions-zeitraums die 2%-Marke erreicht. Für den Rest des Projektionszeitraums sollte sich die Teuerungsrate weiter stabil auf diesem Niveau bewegen. Letztlich ist davon auszugehen, dass die Notenbank wohl merklich später als bislang angenommen an der Zinsschraube drehen wird. Dies spiegelt sich auch in der Euribor-Forward Kurve wider, welche mit Blick auf die kommenden Jahre anhaltend niedrige 3M-Euribor-Notierungen impliziert. Die Notenbank-Oberen wollen eine voreilige Straffung der geldpolitischen Ausrichtung unter allen Umständen vermeiden.
Hinsichtlich der Aussichten für die europäische Wirtschaft zeigt sich Notenbankchefin Lagarde zuversichtlich. Die Risiken für den Konjunkturausblick betrachtet die EZB als weitestgehend ausgeglichen. Einerseits könnten Nachholeffekte beim privaten Konsum der europäischen Wirtschaft einen zusätzlichen Schub verleihen. Anderseits stellt die Corona-Pandemie einen Risikofaktor für die Konjunkturentwicklung dar. Mit Blick auf die Inflation zeigen sich die Währungshüter überzeugt, dass der gegenwärtige Inflationsschub nur von temporär Natur ist.
Nachdem EZB-Chefin Lagarde im Zuge eines Zeitungsinterviews Spekulationen über die Zukunft des PEPP genährt hat, ist es nunmehr etwas irritierend, dass über dieses Kaufprogramm im Zuge dieser Ratssitzung nicht gesprochen wurde. Es ist aber davon auszugehen, dass die Währungshüter die neuen Stabsprojektionen im September abwarten wollen, bevor Anpassungen vorgenommen werden. Wir halten es weiterhin für wahrscheinlich, dass die PEPP-Käufe noch über einen längeren Zeitraum als März 2022 gestreckt werden. Es ist zudem nicht auszuschließen, dass die Notenbank ein neues Notfallprogramm (APP 2.0) ins Leben ruft. Hierfür bedarf es aber wohl noch weiterer Überzeugungsarbeit im geldpolitischen Rat.
Christian Reicherter