Der Parteichefin der schottischen SNP (Scottish National Party), Nicola Sturgeon, ist es am vergangenen Wochenende zwar nicht gelungen, eine absolute Mehrheit einzufahren, zusammen mit den schottischen Grünen wird sie jedoch weiterhin den Ton in Holyrood bestimmen. Ihr großes Ziel ist die Unabhängigkeit Schottlands. Das Scheitern des Referendums im Jahr 2014 (55% der Schotten stimmten damals für den Verbleib im Vereinten Königreich) ficht Sturgeon nicht an. Im Gegenteil, der seither vollzogene Brexit hat sie in ihrer Überzeugung, dass schottische Unabhängigkeit der einzig sinnvolle Weg ist, bestärkt. Die Schotten hatten sich im Brexit-Referendum mehrheitlich für den Verbleib in der EU ausgesprochen. Die Tatsache, dass sie gegen ihren Willen zum Austritt gezwungen wurden, hat in den vergangenen Jahren immer mehr Schotten davon überzeugt, dass ihr Heil in einer engen Anbindung an die EU, nicht Westminster, liegt. Die Umfragewerte spiegelten dies in wachsender Unterstützung für die Unabhängigkeit wider. Zwischen Anfang 2020 und Anfang 2021 lag das Unabhängigkeitslager in fast allen Umfragen vorne. Seit einigen Monaten wendet sich das Blatt jedoch. Die erfolgreiche Impfkampagne der britischen Regierung und die wirtschaftlichen Konsequenzen der Corona-Krise haben augenscheinlich zu einem Umdenken geführt. Sturgeon, die ihren Wahlsieg ihrem Bestreben nach schottischer Unabhängigkeit zuschreibt, wird bei genauerem Hinsehen feststellen, dass es weiterhin keine deutliche Mehrheit für einen solchen Schritt gibt.

 

Auch in London dürfte Sturgeon auf Granit beißen. Boris Johnson hat eindeutig keinerlei Intentionen ein Referendum zu erlauben und hat dies bereits mehr als deutlich kommuniziert. Hält Sturgeon ein Referendum ohne die Erlaubnis Westminsters ab, wäre das Ergebnis legal nicht gültig. Den Schotten bliebe dann nur die offene Rebellion gegen London, was eine Bevölkerung die ohnehin nicht mehrheitlich von der Unabhängigkeit überzeugt ist, kaum mittragen dürfte und Sturgeon im Wahlkampf im Übrigen auch ausgeschlossen hat. Auf offenen Arme seitens der EU dürften die Schotten in diesem Fall ebenfalls nicht zählen: mit Blick auf die Lage in Spanien und Belgien wird die EU es tunlichst vermeiden wollen, mit Schottland einen Präzedenzfall zu setzen.

 

Nicola Sturgeon wird sich nicht leicht geschlagen geben. Die politischen Realitäten sprechen jedoch eindeutig gegen ein zweites (zumindest legal abgehaltenes) Referendum. Politisch wird das Thema fraglos ein heißes Eisen bleiben, den Finanzmarkt sollte es jedoch kaum tangieren.

 

— Sonja Marten