Türkische Lira unter Druck… und täglich grüßt der Erdogan

Die Dreiecksbeziehung zwischen dem türkischen Präsidenten Erdogan, seiner Zentralbank und der zugehörigen Landeswährung lässt sich seit längerem bestenfalls als angespannt bezeichnen. Bereits zum dritten Mal binnen weniger als zwei Jahren nutzte das Staatsoberhaupt am vergangenen Wochenende seine Befugnisse und setzte den amtierenden Notenbankchef Naci Agbal per Dekret vor die Tür. Hintergrund dürfte die unter dessen Leitung vergangene Woche beschlossene Leitzinsanhebung um 200 Bp sein. Ein Leitzins von 19% mag zwar angesichts einer Inflationsrate von rund 16% (J/J) mit steigender Tendenz für die meisten objektiven Beobachter angemessen erscheinen. Beim Präsidenten und Verfechter niedriger Zinsen brachte die Entscheidung aber offensichtlich das Fass zum Überlaufen.

Kein Wunder, schließlich ist der im internationalen Vergleich sehr hohe Leitzins nicht nur eine Belastung für die Wirtschaft der Türkei. Nach Ansicht Erdogans ist er darüber hinaus die Ursache für die hohe Inflationsrate. Dieser äußerst unorthodoxen ökonomischen Theorie kann offenbar auch der neue Mann an der Spitze der Notenbank, Sahap Kavcioglu, etwas abgewinnen. So kritisierte der bisherige Professor für Bankwirtschaftslehre an der staatlichen Marmara-Universität und Mitglied der Regierungspartei AKP die Leitzinsentscheidung seines Vorgängers in der vergangenen Woche als „traurig“. Demnach sollte die türkische Zentralbank Kavcioglus Einschätzung zufolge nicht auf hohe Zinssätze bestehen. Angesichts der weltweit sehr niedrigen Leitzinsniveaus würden die wirtschaftlichen Probleme in der Türkei damit nur schlimmer gemacht, so der neue oberste Währungshüter weiter. In seiner ersten Ansprache in neuer Funktion versuchte Kavcioglu, Zweifel am Erfolg seiner künftigen Strategie zu zerstreuen. So hob er hervor, dass die Notenbank die zur Verfügung stehenden geldpolitischen Instrumente im Einklang mit dem obersten Ziel, einen dauerhaften Rückgang der Inflation herbeizuführen, „effektiv einsetzen“ werde.

Die mit einem Minus von momentan rund 10% angesichts der Umstände noch verhaltene Reaktion der Lira deutet darauf hin, dass die Marktteilnehmer bereit sind, Kavcioglu eine Chance zu geben. Für die Lira gibt es mit Blick auf die kommenden Wochen und Monate zwei alternative Szenarien. Entweder der neue Zentralbankchef nutzt den (zumindest bislang) für den Verlauf des Jahres prognostizierten Inflationsrückgang für eine behutsame Lockerung des restriktiven geldpolitischen Kurses, dann bestünde für die Landeswährung durchaus die Möglichkeit, mit einem blauen Auge davonzukommen. Oder Kavcioglu senkt ohne Rücksicht auf Verluste den Leitzins und provoziert so eine erneute Währungskrise mit abermals aufkeimenden Diskussionen über eine Zahlungsbilanzkrise und mögliche Zahlungsverkehrskontrollen. Aus Sicht der meisten Beobachter dürfte letztere Variante nach den Erfahrungen vom Wochenende sicherlich die höhere Eintrittswahrscheinlichkeit aufweisen.

Sören Hettler

Quelle: Tradesignal


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