Die Langzeitrisiken des EU-Wiederaufbaufonds
Als sich die Staats- und Regierungschefs nach langwierigen Verhandlungen auf einen EU-Wiederaufbaufonds (NGEU) einigen konnten, war die Erleichterung groß. Um Haaresbreite konnte die Gemeinschaft ein Scheitern der Gespräche abwenden und blieb inmitten der Krise handlungsfähig. In die Begeisterung darüber, dass die EU ihrem Anspruch einer Solidargemeinschaft gerecht wurde, mischen sich inzwischen zunehmend auch kritische Stimmen. Eine besondere Brisanz birgt ein Bericht des Bundesrechnungshofes, der keiner Weisung des Bundesfinanzministeriums unterliegt und den Anspruch hat, unabhängig zu sein.
Die kritischen und mahnenden Worte des Rechnungshofes hätten kaum stärker ausfallen können. Konkret geben die Finanzwächter zu bedenken, dass sich in Krisenzeiten eingeführte Instrumente „aller Erfahrung nach verstetigen“. Hierzu passt, dass die Stimmen aus Südeuropa, aber auch innerhalb der deutschen Politik, die sich für eine EU-Fiskalunion aussprechen, zuletzt hörbar lauter wurden. Befürchtungen äußert der Rechnungshof auch dahingehend, dass die Schulden der Europäischen Union, für die alle Staaten gemeinschaftlich haften, nicht bei den Schuldenständen angerechnet werden. Konkret heißt das: Die Staaten haben nicht nur die Möglichkeit, die EU-Fiskalregeln auf diese Weise zu umgehen, auch die Aussagekraft der viel beachteten Kennziffer der Schuldenstandsquote nimmt ab. Dies stellt auch ein Risiko aus der Sicht eines Anlegers dar, der durch Kauf von Anleihen Staaten Geld leiht. Unterschätzen Investoren nämlich dadurch die Risiken, neigen sie zu riskanteren Anlagen, was letztlich auch eine Gefahr für die Finanzmarktstabilität birgt. Ein Langzeitrisiko stellt überdies die nicht abschließend geklärte Frage der Rückführung der EU-Schulden dar. Geplant ist, dass die für die Gewährung der Wiederaufbaufonds-Zuschüsse aufgenommenen EU-Verbindlichkeiten durch eine höhere Umlage der Nationalstaaten bis 2058 abgebaut werden. Abgesehen von dem vagen Ziel gibt es noch keine Pläne, wer zukünftig wieviel mehr nach Brüssel zu überweisen hat. Fraglich ist jedoch, ob die EU-Schulden überhaupt abgebaut werden. Auch hierzu nimmt der Bundesrechnungshof Stellung und verweist auf das Garantievolumen in Höhe von 4.000 Mrd. Euro (!), das die Nationalstaaten der EU zugesichert haben. Die Bundesbehörde merkt kritisch an, dass die Haftungssumme die bislang geplanten EU-Verbindlichkeiten deutlich übersteige und empfiehlt daher, diese zu senken. Die hohe Haftungssumme bedeutet umgekehrt aber auch, dass bereits jetzt eine wesentliche Voraussetzung dafür geschaffen wurde, die EU-Schulden bei Bedarf weiter zu erhöhen.
Die Risiken beschränken sich nach Auffassung des Rechnungshofes allerdings nicht alleine auf den Haftungsaspekt. Zweifel hegt die Bundesbehörde auch am Erfolg des Fonds: „Die negativen Erfahrungen aus den bisherigen EU-Programmen wecken jedenfalls erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit des Mitteleinsatzes und damit auch daran, dass die angestrebten Ziele erreicht werden.“ Aus den Reihen der Wissenschaft wurde dieser Vorwurf schon öfters erhoben. Dass nun auch staatliche Stellen „erhebliche Zweifel“ haben, lässt aufhorchen. Konkret fordert die Bonner Behörde, dass Hilfen mit Reformauflagen verknüpft und Projekte nur anteilig unterstützt werden sowie eine effektive Kontrolle stattfindet. Die Skepsis des Bundesrechnungshofes birgt eine nicht zu unterschätzende politische Brisanz. Die Legitimität des Wiederaufbaufonds basiert auch auf dem Vertrauen der Bürger*innen, dass Europa gemeinsam stärker ist und Solidarität dem Wohle der Gemeinschaft dient. Sollte sich herausstellen, dass am Ende die Schulden zwar deutlich gewachsen, die wirtschaftlichen Erfolge aber hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind, wäre der politische Schaden sowohl in den Nettozahler- als auch den Nettoempfängerstaaten kaum zu beziffern. Das Ziel einer weitergehenden Integration Europas setzt Erfolgsmeldungen bei Leuchtturmprojekten wie dem Wiederaufbaufonds voraus. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich auch Brüssel der Kritik stellt und noch vor dem Start des Wiederaufbaufonds die richtigen Schlüsse zieht, um NGEU doch noch zum durchschlagenden Erfolg zu verhelfen.
Daniel Lenz