Rohöl hakt Corona ab
Der Rohölpreis hakt in großen Schritten die Corona-Krise ab. Am Montag kletterte der Preis des schwarzen Goldes kurzzeitig über 70 USD. Mittlerweile ist die Notiz wieder etwas zurückgekommen, allerdings ist Brent-Rohöl seit Jahresbeginn mit einem Plus von fast 30 Prozent der unangefochtene Star in der Rohstoff-Arena.
Die Opec+ hat es unserer Ansicht nach letzte Woche verpasst, den Rohölmarkt zu normalisieren. Einen Produktionsanstieg von 0,5 Millionen Barrel pro Tag (MMBD) hätte der Rohölmarkt ob der laufenden Nachfrageerholung problemlos aufnehmen können. Da bei den aktuellen Preisen einige Wüstenstaaten wieder im fiskalischen Plus sind, stellen wir die Kürzungsdisziplin des Kartells zunehmend in Frage. Zudem provoziert man nun eine stärkere Produktionserhöhung der US-Fracker. Zuletzt wurden wegen des Drohnenangriffs auf ein Öl-Exportterminal von Saudi Aramco Erinnerungen an den September 2019 wach. Seinerzeit kam es ebenfalls zu einem Raketenangriff auf Ölanlagen in Saudi-Arabien. Der aktuelle Knappheitsgrad (Marktdefizit) lag im Herbst 2019 in etwa auf dem aktuellen Niveau, allerdings war die Opec-Reservekapazität nur halb so groß. Daher fiel der Preiseffekt 2019 zwar größer aus als heute, jedoch konnte sich der Rohölpreis selbst damals nicht oberhalb von 70 USD halten.
Wir rechnen damit, dass der Rohölpreis zwischen 60 und 70 USD seine fundamentale Komfortzone findet. Sehr kurzfristig kann es Preisspitzen über 70 USD geben. Als Risiko („Überschießen“) könnte sich eine fortgesetzte Sturheit der Opec erweisen. Aber auch nach unten existieren Unsicherheiten. Zum Beispiel, wenn es a) zu raschen diplomatischen Durchbrüchen zwischen Washington und Teheran kommen sollte oder b) der sinoamerikanische Handelskonflikt wieder stärker in den Mittelpunkt rückt. Mit unserer 12-Monatsprognose rollieren wir weiter vorwärts in den Post-Corona-Boom 2022. Aufgrund der von uns unterstellten kräftigen Nachfrageerholung sehen wir den Ölpreis in einem Jahr bei 68 USD (zuvor: 63 USD). Mit Blick auf den Sommer rechnen wir allerdings mit einem Rücksetzer der Notiz auf rund 60 USD, weil a) die Opec-Kürzungsdisziplin erodiert, b) die Produktionssteigerung des Kartells im Mai nun wohl größer ausfällt, c) die US-Fracker bei den aktuellen Preisen rascher an den Markt zurückkehren als ehedem veranschlagt und sich d) die asiatischen Raffinerien wohl in den nächsten beiden Monaten wegen des laufenden Wartungszyklus und geringer Margen nachfrageseitig etwas zurückhalten werden.
-- Gabor Vogel
