EZB stemmt sich gegen Renditeanstieg
Seit der letzten Zusammenkunft der Notenbank-Oberen sind die zehnjährigen Bundrenditen in der Spitze um 23 Basispunkte angestiegen. Auch wenn ein gewisser Renditeanstieg aufgrund der zu erwartenden konjunkturellen Erholung in der zweiten Jahreshälfte gerechtfertigt erscheint, ist die Dynamik den Währungshütern ein Dorn im Auge. So könnte ein übermäßig rascher Anstieg der Kapitalmarktrenditen die Erholung der Wirtschaft ausbremsen. Vor diesem Hintergrund haben die Notenbank-Oberen zuletzt auch verbal interveniert. Nichtsdestotrotz bewegen sich die Bundrenditen nach wie vor merklich oberhalb der Niveaus von Mitte Januar (-0,48%). Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass Lagarde zumindest versuchen wird, den weiteren Aufwärtsspielraum der Renditen im Euroraum zu limitieren. In diesem Zusammenhang wird die EZB-Chefin hervorheben, dass die ultra-expansive Geldpolitik noch geraume Zeit fortgesetzt wird. Sollte sich dieser Hinweis als nicht ausreichend erweisen, um dem Aufwärtsdrang der Renditen Einhalt zu gebieten, dürfte unserer Einschätzung nach das PEPP verstärkt zum Einsatz kommen. So wäre es durchaus vorstellbar, dass die Notenbank das wöchentliche Ankaufvolumen merklich forciert. In den zurückliegenden Wochen bewegten sich die Käufe mit etwa 17 Mrd. Euro auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Im Zuge der ersten Corona-Infektionswelle summierten sich die wöchentlichen Wertpapierkäufe in der Spitze auf annähernd 35 Mrd. Euro. Die Notenbank verfügt somit über beachtlichen Handlungsspielraum. Da wir davon ausgehen, dass das Ankaufvolumen nur temporär erhöht wird, müsste das bislang avisierte Ankaufvolumen von 1.850 Mrd. Euro nicht unmittelbar aufgestockt werden.
Zuletzt wurden die Währungshüter nicht müde zu betonen, dass grundsätzlich alle geldpolitischen Instrumente zum Einsatz kommen könnten – so auch eine weitere Senkung des Einlagesatzes. Nach Ansicht von Bundesbankchef Weidmann sei die „Reversal Rate“, also jener negative Zinssatz bei dem sich ein geldpolitischer Impuls ins Negative verkehrt, noch nicht erreicht. Wir gehen davon aus, dass die EZB eine weitere Leitzinssenkung dennoch lediglich als Drohkulisse betrachtet. Angesichts der weiter zunehmenden Überschussliquidität würde sich eine erneute Einlagesatzsenkung bei einem gleichbleibenden Mulitplikator als erhebliche Belastung für den Bankensektor erweisen. Die Marktakteure scheinen einer Zinssenkung ebenfalls skeptisch gegenüber zu stehen. So haben die Forward EONIA-Notierungen (1J+1J) in den vergangenen Monaten kontinuierlich höher tendiert und zeigen sich aktuell etwas unterhalb der Marke von 0,50%.
Die Corona-Pandemie hat die Eurozone weiterhin fest im Griff. Die nur langsamen Fortschritte bei der Impfung sowie die zunehmende Verbreitung der Corona-Mutationen könnten die Öffnung der Wirtschaft verzögern. In diesem Zusammenhang halten wir es für denkbar, dass die BIP-Projektionen für das laufende Jahr etwas nach unten angepasst werden. Von einer allzu deutlichen Abwärtsrevision gehen wir aber nicht aus, da wir bei einer zunehmenden Durchimpfung der Bevölkerung mit einem Rebound der Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte rechnen. Unter anderem aufgrund eines auslaufenden Basiseffekts von Seiten der Energiepreise muss in den kommenden Monaten mit merklichen höheren Inflationsraten gerechnet werden. In diesem Zusammenhang würde uns eine Adjustierung der Inflationsprojektion für 2021 nicht verwundern. Derzeit rechnet die Notenbank noch mit einer Inflationsrate von 1,0%. Da der grundlegende Preisdruck aber weiter schwach ausgeprägt bleiben dürfte, kann die Notenbank an ihrem ultra-expansiven Kurs festhalten.
--Christian Reicherter