China: Wachstumsziel von gut sechs Prozent ist für das laufende Jahr nicht ambitioniert

China kehrt dieser Tage zu einem althergebrachten Ritual zurück: Die Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses wird mit dem Wirtschaftsausblick des Premierministers eröffnet, der die ökonomischen Ziele für das laufende Jahr verkündet, darunter auch das politisch heikle Wachstumsziel. Wer gedacht hatte, mit der krisenbedingten Aussetzung der Zielvorgabe im vergangenen Corona-Jahr würde sich die chinesische Führung von dieser durchaus umstrittenen Praxis endgültig verabschieden, wurde spätestens jetzt eines Besseren belehrt. Die chinesische Wirtschaft soll also in diesem Jahr um „mehr als sechs Prozent“ wachsen – das entspricht etwa der Zielvorgabe, die auch schon für 2019 galt und geradeso eingehalten wurde.

Nun dürfte diese Rate in diesem Jahr vergleichsweise leicht zu erreichen sein. Nach dem tiefen Einbruch der Wirtschaftsleistung durch den Corona-Lockdown zum Auftakt des vergangenen Jahres wird das jährliche Wirtschaftswachstum im laufenden ersten Quartal von außergewöhnlich hohen statistischen Basiseffekten profitieren und wahrscheinlich deutlich zweistellig ausfallen. Außerdem konnte sich in der Volksrepublik im Laufe des vergangenen Jahres dank der weltweit hohen Nachfrage nach industriell gefertigten Waren eine starke Export-Sonderkonjunktur entwickeln, die in diesem Jahr nur ganz allmählich abebben dürfte. Die Vorzeichen für kräftige Wachstumsraten zumindest in der ersten Jahreshälfte sind daher sehr gut. Für das Gesamtjahr rechnen wir mit einem Wirtschaftswachstum von 8,8 Prozent. Das ist selbst für chinesische Verhältnisse hoch und wurde zuletzt vor zehn Jahren erreicht.

Die Machthaber in Peking werden sich also in diesem Jahr noch einmal in einer Übererfüllung der Wachstumsvorgaben sonnen können. Kritischer wird es dagegen im kommenden Jahr, wenn die Sondereffekte des Nachkrisenjahrs wegfallen und das Wirtschaftswachstum bestenfalls auf seinen langfristigen, abwärts gerichteten Trend zurückkehrt. Dann erhalten die zunehmend negativen demografischen Effekte die Oberhand und es dürfte aus unserer Sicht höchstens für einen Zuwachs von 5½ Prozent reichen. Schon in der zweiten Hälfte dieses Jahres dürften die Wachstumsraten unter das Regierungsziel fallen, wenn die Schubkraft der Exportkonjunktur allmählich an Schwung verliert.

-- Monika Boven


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