Neue Aktienkultur in Deutschland?

Nach neuesten Zahlen des Deutschen Aktieninstituts ist die Zahl der Aktionäre und Aktienfondsbesitzer im letzten Jahr kräftig gestiegen – um 29 Prozent auf 12,4 Millionen. Vor allem junge Anleger haben sich erstmals an den Aktienmärkten engagiert. Doch ist das bereits die ersehnte neue Aktienkultur in Deutschland? Reicht der Aufschwung, um den Geldanlagestau bei den privaten Haushalten aufzulösen?

Einlagenzinssätze nahe null Prozent und Anleiherenditen mit Minuszeichen – die langanhaltende Niedrigzinsphase bringt die in der Vergangenheit oft eher sicherheitsorientierten deutschen Privatanleger in ein Dilemma: Einerseits waren sie verständlicherweise kaum noch bereit, sich langfristig mit festverzinslichen Bankeinlagen oder Rentenpapieren zu binden. Andererseits mieden viele Haushalte Anlagen mit oft besseren Renditechancen aber Kursrisiken, wie Aktien oder Aktienfonds. Häufig blieben daher Sparbeträge und Rückflüsse aus fälligen Anlagen einfach auf dem Girokonto stehen. Die Folge war ein gewaltiger Geldanlagestau. Inzwischen sind rund zwei Billionen Euro dauerhaft in Form von Sichteinlagen oder Bargeld „zwischengeparkt“. Die Forderung einer neuen Aktienkultur in Deutschland ist daher mehr als verständlich.

Zuletzt überraschte jedoch die Reaktion privater Anleger auf die Corona-Krise. Während sie in der Vergangenheit auf Krisen häufig mit Panikverkäufen von Aktien reagierten, fielen diese im bisherigen Verlauf der Corona-Krise weitgehend aus. Im Gegenteil: In den ersten drei Quartalen 2020 stiegen die Netto-Aktienkäufe auf 33,9 Mrd. Euro. Das war rund das Dreifache der durchschnittlichen Geldvermögensbildung in dieser Anlageform in den jeweils ersten drei Quartalen der letzten Jahre. Auch bei Fonds und Zertifikaten konnten gute Zuflüsse registriert werden. Das verstärkte Interesse an diesen Anlageformen hängt jedoch nicht nur mit der wachsenden Zahl an Neueinsteigern zusammen, sondern auch an einem verstärken Einsatz von Fondssparplänen. So berichtet die dwpbank über einen Anstieg der Sparpläne in 2020 um 63,1 Prozent auf 703.000. Die Transaktionen, die auf Sparpläne zurückzuführen sind, wuchsen sogar um 85 Prozent.

Tatsächlich gibt es also ein neues gestiegenes Interesse an Aktien & Co. Allerdings haben die erfreulichen Zuwächse in diesem Bereich bisher bei weitem nicht ausgereicht, um dem wachsenden Geldanlagestau wirksam zu begegnen. Eher im Gegenteil: Angetrieben von Niedrigzins und Corona-Krise wuchsen die Ersparnisse, die auf Girokonten stehen blieben oder im Portemonnaie landeten, noch kräftiger und der Anteil „zwischengeparkter“ nicht angelegter Finanzmittel erreichte Ende 2020 mit voraussichtlich 28,5 Prozent des gesamten Geldvermögens einen neuen Rekordwert. Trotzdem stimmen gerade das hohe Interesse einer jungen Anlegergeneration und das weiter wachsende regelmäßige Fondsparen zuversichtlich, dass sich mittel- bis langfristig eine ausgewogenere Portfoliostruktur der privaten Haushalte in Deutschland mit besseren Renditeaussichten entwickelt.

-- Michael Stappel


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