Kann Draghi auch Regierungschef?
Die Zeichen in Rom stehen auf Regierungswechsel. Nachdem es dem geschäftsführenden Premier Conte nicht gelang, eine neue Koalition zu bilden, kommt ein neuer Name ins politische Spiel: Mario Draghi. Der Ex-Chef der EZB trifft sich heute Mittag mit Staatspräsident Mattarella. Aller Voraussicht nach wird ihn das Staatsoberhaupt mit der Regierungsbildung beauftragen. Eine große Überraschung wäre das nicht. Draghi wurde seit Wochen bereits als möglicher Chef einer Expertenregierung gehandelt. Die Märkte reagieren auf die neuesten Entwicklungen nahezu euphorisch. Der Optimismus wird sowohl von der Erwartung getragen, dass damit baldige Neuwahlen vom Tisch sein könnten als auch der Hoffnung, dass Draghi einige der überfälligen Reformen in Italien anschiebt.
Aber was wäre tatsächlich von einer Draghi-Regierung in Italien zu erwarten? Draghis fachliche Expertise ist über jeden Zweifel erhaben. Könnte er Italiens Wirtschafts- und Fiskalpolitik frei bestimmen, wären Hoffnungen einer positiven Trendwende sicherlich berechtigt. Draghis Hauptschwierigkeit dürfte aber darin liegen, dass er politische Mehrheiten im Parlament erringen muss. Dabei wird er maßgeblich auch auf die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) angewiesen sein, die der Geldpolitik der EZB auch in der Draghi-Ära nicht selten kritisch gegenüberstand. Auf eine Unterstützung der Rechtspopulisten wird Draghi kaum setzen können und wollen. Auch der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Bildung von Expertenregierungen zuweilen mit hohen Erwartungen verbunden war, denen sie aber nicht immer vollends gerecht wurden. Als ein Beispiel gilt die Regierung Monti, die Italien zwischen November 2011 und April 2013 und damit inmitten der Staatenfinanzkrise regierte. Auch mit der Personalie Monti, einem Wirtschaftswissenschaftler und Ex-EU-Kommissar, waren im Vorfeld hohe Erwartungen verbunden. Monti gelang es aber nicht, die Parteien von seiner unpopulären Reformagenda zu überzeugen.
Neben den möglichen Erfolgsaussichten einer Expertenregierung stellt sich auch die Frage nach ihrer Lebensdauer. Das Ziel aller Mitte-Links-Parteien ist es, Neuwahlen derzeit zu verhindern. Das liegt nicht nur an der Pandemie, sondern auch an den schlechten Umfragewerten des linken Lagers. Draghi wird umfangreiche Forderungen an die Parteien haben, seine Krisen- und Reformpolitik mitzutragen. Inmitten der zweiten Welle stehen die Chancen noch recht gut, dass eine Expertenregierung von einer Parlamentsmehrheit getragen wird. Die größeren Schwierigkeiten stünden aber im Herbst an. Klingt die Pandemie bis dahin ab, dürfte Draghi für 2022 auch auf Spar- und Reformmaßnahmen drängen, die außerdem die EU-Kommission und die Ratingagenturen fordern werden. Angesichts des Drucks von rechts steht zu befürchten, dass sich die linken Parteien hierzu aber nicht durchringen können.
Daniel Lenz