Der Wiederaufbaufonds ist kein „Gamechanger“

Nach zähem Ringen haben Polen und Ungarn ihren Widerstand gegen den EU-Wiederaufbaufonds aufgegeben. Stimmt auch noch das EU-Parlament zu, kann der Fonds voraussichtlich im Laufe des ersten Halbjahres 2021 und damit später als ursprünglich erhofft an den Start gehen. Vor allem Südeuropa fiebert den Milliardenzahlungen entgegen. Die Hoffnung ist groß, dass die Mittel nicht nur die wirtschaftlichen Corona-Schäden abmildern, sondern auch, dass nun finanzieller Spielraum auch für gestalterische Wirtschaftspolitik vorhanden ist. Zu Recht?

Die EU-Gelder werden sicherlich punktuell helfen, ein „Gamechanger“ beim Kernproblem der wachsenden wirtschaftlichen Divergenz innerhalb der EU sind sie wahrscheinlich nicht. Dies macht ein Blick darauf deutlich, wohin die Mittel überwiegend fließen werden und wo die Probleme liegen. Um eine möglichst effiziente Mittelverwendung sicherzustellen, können die Staaten nicht beliebig über die Gelder verfügen, sie müssen Pläne hierzu bei der EU einreichen. Ein Großteil der Zuwendungen dürfte für Investitionen aufgewendet werden, beispielsweise in den Bereichen Verkehr, Gesundheit, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Können so Wachstumshemmnisse beseitigt werden, klingt der Ansatz zunächst durchaus vielversprechend. Fraglich ist aber, ob die Projekte, die Brüssel vorgeschlagen werden, in der Praxis in erster Linie nach wirtschaftlichen oder doch nach politischen Kriterien ausgesucht werden. Hierüber streitet faktisch derzeit die italienische Regierung. Während Premier Conte externe Fachleute für eine Projektauswahl hinzuziehen möchte, beharrt das Kabinett darauf, mitreden zu dürfen. Spielen politische und regionale Proporzüberlegungen aber eine wesentliche Rolle, tritt die Wirtschaftlichkeit schnell in den Hintergrund. Und Brüssel wird kaum willens oder in der Lage sein, hier als Korrektiv in nationale Politik einzugreifen.

Ein weiteres Problem ist darin zu sehen, dass die Hauptwachstumshemmnisse in Italien und in Griechenland nicht unbedingt (nur) in infrastrukturellen Mängeln liegen. Unternehmen berichten wiederholt, dass zu viel Bürokratie, lange Verfahrensdauern und rechtliche Unsicherheiten teilweise noch schwerer wiegen. In Vergleichsuntersuchungen wie dem „Ease of Doing Business Index“ der Weltbank belegen einige südeuropäische Länder im Feld der Industriestaaten hintere Plätze. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, reicht Geld aber nicht allein. Es bedarf viel Zeit und vor allem des politischen Willens, verkrustete Strukturen anzugehen und zu reformieren. Im Wissen, dass der Wiederaufbaufonds eben kein „Gamechanger“ ist, hat der italienische Premier erst diese Woche dauerhafte Zahlungen der EU gefordert. Allerdings zeigen auch die Erfahrungen von nationalen Finanzausgleichsmechanismen wie dem deutschen Länderfinanzausgleich: Geld kann soziale Ungleichheiten reduzieren, wirtschaftliche Konvergenz aber nur in begrenztem Umfang fördern.


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