Britische Wirtschaft stürzt in historische Rezession

Desaströs – anders kann man die Bilanz der britischen Wirtschaft für das zweite Quartal wohl kaum bezeichnen. Rund ein Fünftel der Wirtschaftsleistung ging im zurückliegenden Vierteljahr, das über weite Strecken von einem strengen Corona-Lockdown geprägt war, gegenüber dem Vorquartal verloren – das ist mehr als in allen anderen wichtigen Industrieländern. Nur wenn man das erste Quartal, in dem der Absturz fast allerorts bereits begann, mit in die Betrachtung einbezieht, schneidet das Vereinigte Königreich nicht mehr schlechter ab als das von der Pandemie ebenfalls besonders hart getroffene EWU-Schlusslicht Spanien – das ist allerdings nur ein schwacher Trost.

Wie konnte es soweit kommen? Erst spät hat die britische Regierung die Gefahr der Epidemie ausreichend ernst genommen und sich zu Schul- und Geschäftsschließungen und Ausgangsbeschränkungen durchgerungen. Damit hielten sich die wirtschaftlichen Verluste im ersten Quartal zwar noch in Grenzen, das Infektionsgeschehen verlief aber umso gravierender. Wahrscheinlich auch unter dem Eindruck seiner eigenen Covid-Erkrankung hat Premierminister Boris Johnson die Zügel während der Frühjahrsmonate dann lange straff angezogen. Erst in der zweiten Maihälfte nahmen Industrie und Bau den regulären Betrieb allmählich wieder auf, der stationäre Einzelhandel durfte erst Mitte Juni wieder öffnen, die Gastronomie musste sogar bis Juli warten.

Die Folgen dieses langen künstlichen Komas lassen sich an den heutigen Zahlen ablesen: Um 35 Prozent ist die Bauwirtschaft im zweiten Quartal geschrumpft, sogar noch etwas stärker als die Gastronomie. Dies hat sich auch in einer besonders schwachen Investitionsnachfrage (-25%) niedergeschlagen. Ansonsten zeigen die ähnlich hohen Verluste in der Industrie und im Dienstleistungssektor von rund 20 Prozent, das sich kein Wirtschaftsbereich den verheerenden Folgen des wochenlangen Stillstands entziehen konnte. Selbst der öffentliche Konsum schrumpfte deutlich und konnte damit kaum seiner Funktion als konjunktureller Stabilisator nachkommen. Das geringste Minus verbuchte noch die Exportindustrie, was dem ansonsten chronisch defizitären Außenhandel Großbritanniens den höchsten Handelsbilanzüberschuss seit Jahrzehnten und der Gesamtwirtschaft einen positiven Wachstumsbeitrag von über drei Prozent bescherte.

Es gibt aber auch Lichtblicke: Die monatlichen Wirtschaftszahlen lassen eine kräftige Erholung seit Juni erkennen. Um knapp neun Prozent ist die Wirtschaftsleistung im Schlussmonat des zweiten Quartals gewachsen, das lässt sogar auf ein zweistelliges Ergebnis im laufenden dritten Quartal hoffen. Trotzdem wird das Land die entstandenen Verluste damit noch immer bei Weitem nicht ausgleichen können. Bei rund acht Prozent dürfte der Abstand zum Vorkrisenniveau am Jahresende noch liegen und mit einem BIP-Rückgang von zwölf Prozent dürfte Großbritannien auch im Gesamtjahr 2020 im Kreis der G20 die „rote Laterne tragen“.

      

 

Quelle: National Statistische Ämter, DZ BANK

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