US-Wirtschaft zwischen Hoffen und Bangen – zweiter Lockdown aber unwahrscheinlich

Die Nachrichten aus den USA sind derzeit zweigeteilt. Auf der Sonnenseite stehen die jüngsten Meldungen zur konjunkturellen Lage. Ob am Häusermarkt, beim Konsum- und Industrieklima oder bei den Beschäftigungszahlen – überall bewegten sich die Indikatoren zuletzt wieder aufwärts, zum Teil sogar sehr steil.

Positiv hervorzuheben ist der Einkaufsmanagerindex des ISM für das verarbeitende Gewerbe, der im Juni sogar den Sprung über die Wachstumsschwelle schaffte. Er steht nun bei 52,6 Punkten. Die Lockerungen der Lockdownmaßnahmen und die umfangreichen Staatshilfen haben der Wirtschaft offensichtlich wieder Schwung gegeben.

Sicherlich, an die Werte von vor der Krise kommt man noch nicht wieder heran. Zu nennen ist hier insbesondere die Arbeitslosenquote, die aktuell (Juni) 11,1 Prozent beträgt. Im Jahresdurchschnitt 2019, also „vor Corona“, lag sie mit 3,7 Prozent viel tiefer. Dennoch zeigen die Daten, dass sich die Wirtschaft überraschend schnell erholen kann. Wird die Entwicklung der Gesamtwirtschaft sogar die Form eines V annehmen, folgt also auf den tiefen Absturz ein kräftiger Anstieg?

Darauf könnte man hoffen, wäre da nicht die zweite Seite der Berichterstattungen. Zu den düsteren Nachrichten gehört die tägliche Meldung der Neuinfektionen mit dem Corona-Virus. In den USA steigt diese Zahl wieder sichtlich an. Fast 50.000 waren es gestern – viel mehr als zu den bisherigen Höhepunkten im April und Mai. Wissenschaftler warnen, dass der Wert sogar auf das doppelte steigen könnte. Möglicherweise erleben die USA bereits die gefürchtete 2. Virus-Welle. Oder sind die höheren Werte bloß eine Folge von mehr Tests? Das ist derzeit unklar.

Klar aber ist, dass mit den zunehmenden Corona-Fällen auch die Belastungen für die Wirtschaft wieder steigen. Einen nationalen Lockdown soll es laut dem Präsidenten nicht geben. Ausgerechnet in den wirtschaftlich stärksten Bundesstaaten der USA, Kalifornien und Texas, wurden aber teilweise die Öffnungspläne für die Wirtschaft angehalten oder zurückgefahren. Dabei geht es zunächst im Wesentlichen nur um Beschränkungen für das Gaststättengewerbe und Kultureinrichtungen. Die Bremseffekte für die Wirtschaft sollten vorerst begrenzt bleiben. Die Zahl der Neuinfektionen hält uns aber eindrucksvoll vor Augen, dass die Pandemie längst noch nicht unter Kontrolle ist.

Bei einem zweiten nationalen Lockdown fände die aktuelle Erholung der US-Wirtschaft ein jähes Ende. Aber eine solche Entwicklung erscheint mir nicht sehr wahrscheinlich, weder in der USA noch in den anderen Industrieländern. So gibt es zwischenzeitlich einige Medikamente, die im Ernstfall einsetzbar sind. Zudem sind die Kapazitäten in den Gesundheitssystemen an die Anforderungen der Pandemie angepasst worden. Somit ist die Tragfähigkeit der Gesundheitssysteme insgesamt gestiegen. Zudem ist die Zahl Gesundeden kräftig gestiegen, was die Gesellschaften widerstandsfähiger gegen das Virus gemacht haben sollte. Die Entscheidung für einen erneuten nationalen Lockdown hätte für die Verantwortlichen auch einen sehr hohen politischen und wirtschaftlichen Preis. Die erneute Rezession wäre tief und wohl auch relativ zäh, da die Verunsicherung stark ansteigen würde und die Spielräume in der Fiskal- und Geldpolitik zu einem großen Teil bereits ausgeschöpft wurden.

Insgesamt sind die stark steigenden Corona-Fälle natürlich eine menschliche Tragödie, sollten aber eben nicht zu einem erneuten nationalen Lockdown führen. Natürlich kann es zu regionalen Einschränkungen kommen, diese sollte sich aber hauptsächlich auf die individuelle Freiheit auswirken. Somit könnten die zunehmenden Corona-Fälle in die USA die Erholung bremsen, aber nicht ausbremsen.


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