Droht dem Euro-Raum eine Deflation?

Die Inflation im Euro-Raum hat sich wegen des Ölpreisverfalls bereits seit Jahresbeginn abgeschwächt. Und die Corona-Krise drückt die Preise noch weiter. Die Inflationsrate (HVPI) in der Währungsunion sank im Mai von 0,3 auf 0,1 Prozent und nähert sich damit zusehends der Nulllinie an. Die Frage, ob in den kommenden Monaten auch andere Preise nachgeben und ob der Euro-Raum damit auf mittlere Sicht in eine Deflation abrutschen könnte, wird die Marktbeobachter in den kommenden Monaten sicher stark beschäftigen.

Der Blick auf die Hauptaggregate zeigt, dass der Trend der fallenden Inflationsrate maßgeblich auf rückläufige Preise für Energiegüter zurückzuführen ist, während auf der anderen Seite die Preise für Nahrungsmittel in der Tendenz etwas stärker zugelegt haben. Klammert man diese beiden Komponenten aus, und fokussiert sich damit auf die Kernrate, dann blieb die jährliche Veränderungsrate der Verbraucherpreise im Mai mit 1,2 Prozent weitestgehend stabil.

Kurz- bis mittelfristig wirken unterschiedliche Aspekte auf die Preisentwicklung. Für sinkende Preise spricht die negative Outputlücke, die sich aufgrund der Rezession in diesem Jahr ergibt. Zudem ist die Unsicherheit unter Verbrauchern und Unternehmen hoch. Je länger die Unsicherheit anhält, desto größer konnte Investitionszurückhaltung und Konsumverzicht ausfallen. Die schwache Nachfrage dürfte dann die Preise drücken.

Mit einer stärkeren konjunkturellen Erholung dürften auch die Preise für Energie wieder etwas anziehen und die Inflation nicht mehr bremsen. Zudem dürfte die erhöhte Ersparnisbildung nach dem erzwungenen Konsumverzicht im März und April in den kommenden Monaten zu höheren Konsumausgaben führen.

Und nicht zuletzt werden die Unternehmen und Haushalte derzeit durch massive fiskalpolitische Maßnahmen gestützt. Außerdem sorgt die außerordentlich expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank für ein günstiges Finanzierungsumfeld. Die expansive Wirtschaftspolitik stellt somit ein gutes Sprungbrett für die wirtschaftliche Erholung – und speziell die Nachfrage – nach dem Lockdown dar.

Insgesamt gehen wir davon aus, dass sich in der Summe preistreibende und senkende Effekte in etwa die Waage halten. Kurzfristig wird die EWU-Inflationsrate nahe bei null liegen oder leicht negativ ausfallen. Ab der Jahreswende dürfte sie dann wieder steigen. Ein starkes und dauerhaftes Überschießen der Inflationsrate deutlich über die zwei Prozent-Marke halten wir aber für unwahrscheinlich.

 


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