Der Brexit lässt uns nicht los
Der Brexit, der uns im vergangenen Jahr so in Atem gehalten hat, ist noch immer nicht vom Tisch. Die Gespräche über ein Freihandelsabkommen (FTA) zwischen Großbritannien und der EU sind festgefahren. Heute nun soll ein Spitzentreffen neuen Schwung in die Gespräche bringen. Nach eigenen Aussagen würde die britische Regierung unter Premier Johnson aber auch einen No-Deal-Brexit hinnehmen, wenn die Gespräche nicht nach ihren Vorstellungen verliefen. Eine Verlängerung der aktuellen Übergangsphase lehnt London zudem strikt ab. Es ist ein Déjà-vu: Erneut steuert Großbritannien damit auf einen ungeregelten Austritt zu.
Die Auswirkungen eines "No FTA"-Brexits auf die britische Wirtschaft wären ähnlich gravierend wie die, die der sog. No-Deal-Brexit letztes Jahr gehabt hätte: Der Handel zwischen den beiden Wirtschaftsräumen fände von einem Tag auf den anderen nur noch auf WTO-Basis statt, Zölle und Grenzkontrollen würden den Außenhandel massiv bremsen. Eine deutliche Pfund-Abwertung würde den Inflationsdruck erhöhen und den Konsum drosseln. Der Schock träfe die britische Wirtschaft in einer Phase, wo sie sich wahrscheinlich gerade erst von der tiefen Corona-Rezession zu erholen beginnt. Die Arbeitslosigkeit bliebe erhöht, die Staatsverschuldung würde weiter steigen. Die Bank of England müsste womöglich doch Negativzinsen in Betracht ziehen. Insgesamt wäre es ein Desaster.
Angesichts des fragilen wirtschaftlichen Umfelds durch die Corona-Krise, die Großbritannien besonders hart getroffen hat, wären die Folgen eines Chaos-Brexits für die britische Wirtschaft allerdings jetzt noch schwerer zu stemmen als im vergangenen Jahr. Dagegen scheinen sich viele Unternehmen "auf dem Kontinent" in den letzten Jahren auf den Eventualfall des No-Deal-Brexits eingestellt zu haben. Die meisten EWU-Länder sollten die Rückwirkungen des harten Bruchs höchstens begrenzt spüren würden. Damit sind die Briten eigentlich in einer wesentlich schwächeren Verhandlungsposition. Daher sollte man die Hoffnung auf eine vernünftige und für beide Seiten vorteilhaften Lösung nicht aufgeben. Viel der aktuellen Entwicklungen könnte auch nur Teil einer Verhandlungsstrategie sein.