Brexit: Boris auf Kollisionskurs mit Brüssel
Heute ist es endlich soweit: die lang erwarteten Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen (FTA) zwischen der EU und Großbritannien beginnen. Die Briten und Premier Johnson machten im Vorfeld bereits Druck. Die Verhandlungsposition der EU ist aber weiterhin gut und die EU sollte sich nicht beirren lassen. Die Briten haben ohne ein Abkommen mehr zu verlieren als die EU.
Selbst der übermächtigen Corona-Krise ist es nicht gelungen, die Schlagzeilen über den vorgelagerten Schlagabtausch zwischen Michel Barnier und Boris Johnson vollkommen aus dem Rampenlicht zu verdrängen. Wie so oft in den vergangenen Jahren ist vor allem die britische Seite hauptsächlich damit beschäftigt, sich taktisch in Stellung zu bringen. Konstruktive inhaltliche Vorschläge sind bislang Mangelware. Tatsächlich liest sich das britische Verhandlungsmandat wie ein Wunschzettel an den Weihnachtsmann. Die britische Regierung hofft auf ein "ambitioniertes Freihandelsabkommen" mit einem weitestgehend barrierefreien Zugang zum Binnenmarkt (für Güter). Auch die britischen Banken sollen geschützt und in ihren Aktivitäten in der EU nicht eingeschränkt werden. Was Kooperationen in Sachen Sicherheit und Kriminalität betrifft, möchten die Briten in Zukunft ebenfalls gerne weiter von dem Apparat der EU profitieren. Gleichzeitig sind sie jedoch nicht bereit, die aus Sicht der EU mit diesen Forderungen verbundenen Obligationen einzugehen. Weder ist man bereit, eine Anpassung britischer Gesetze an die Regeln der EU zu akzeptieren, noch soll der Europäische Gerichtshof Rechtsprechung in Großbritannien ausüben können. Auch die Fischereirechte bleiben ein hart umkämpftes Terrain: die britische Regierung besteht auf einer Reglung, die es ihr erlauben würde, den Zugang von EU-Booten zu britischen Gewässern jedes Jahr auf Neue zu bestimmen – dies wiederum möchte die EU nicht akzeptieren.
Als wären die Verhandlungen über ein FTA angesichts dieser immensen Hürden nicht schon schwierig genug, erhöht der extrem enge Zeitrahmen den Druck zusätzlich. Bis Ende des Jahres muss das FTA nicht nur verhandelt, sondern auch ratifiziert sein. Bis Oktober, so die Annahme, müssten die Verhandlungen abgeschlossen sein, um diesen Zeitplan einzuhalten. Boris Johnson, nie darum verlegen eine schwierige Situation noch schwieriger zu machen, hat nun angekündigt, dass seine Regierung bereit sei, die Verhandlungen bereits im Juni abzubrechen, sollte sich bis dahin keine Einigung angebahnt haben. Denkbar schlechte Voraussetzungen für den Verhandlungsstart.