UK-Wahlen: die perfekte blaue Welle
Seit einer guten Stunde ist sicher, was sich bereits gestern Abend in den Exit-Polls abgezeichnet hatte: Die Konservative Partei, unter der Führung von Boris Johnson, hat die Parlamentswahlen mit einer großen Mehrheit gewonnen. Der Partei ist es gelungen, 362 Sitze (plus 66) zu gewinnen und sich damit die größte absolute Mehrheit für die Tories seit 1987, damals unter Margaret Thatcher, zu sichern. Die Labour-Partei musste hingegen herbe Verluste einstecken, ebenso wie die Liberaldemokraten. Jeremy Corbyn hat seinen Rücktritt bereits in Aussicht gestellt, während die Parteichefin der LibDems, Jo Swinson, ihren Wahlkreis sogar verloren hat. Der einzige große Gewinner neben den Konservativen ist die schottische SNP, der es gelungen ist, deutlich zuzulegen. Parteichefin Nicola Sturgeon hat bereits angekündigt, diesen Sieg zu nutzen, um ihre Pläne für die schottische Unabhängigkeit voranzutreiben.
Das neue Parlament wird radikal anders aussehen. Während die konservative Fraktion wesentlich homogener werden dürfte und die innerparteilichen Querelen vielleicht nicht ein Ende gefunden haben, aber dennoch deutlich weniger zum Tragen kommen dürften, ist innerhalb der Oppositionsparteien das Gegenteil der Fall. Der bereits angekündigte freiwillige Rücktritt Corbyns und die nicht gänzlich freiwilligen Abgänge von Jo Swinson und Nigel Dodds (Fraktionssprecher der nordirischen DUP, der seinen Sitz an Sinn Fein verloren hat), werden Führungsdebatten nach sich ziehen, welche die Parteien über lange Monate hinweg beschäftigen werden.
Der Premierminister hat nun freie Fahrt für seinen „oven-ready“ Brexit, und der Ratifizierung des von ihm verhandelten Austrittsvertrags dürfte nichts mehr im Weg stehen. Am 31. Januar 2020 werden die Briten die EU in einem geordneten Prozess verlassen, und damit ist zumindest dieses unrühmliche Kapitel endlich abgeschlossen. Das britische Pfund hat, wie zu erwarten war, diese Entwicklung mit deutlichen Gewinnen quittiert und dürfte zumindest auf Sicht der kommenden Wochen von einer positiven Grundstimmung profitieren. Doch wenngleich Johnson unbestreitbar ein großer Sieg gelungen ist, kommen bereits in wenigen Monaten große Herausforderungen auf die britische Regierung zu. Denn nach dem Brexit ist vor dem Brexit. Genauer gesagt: Ein geregelter Austritt am 31. Januar 2020 verschafft den Briten (und uns) lediglich elf Monate Ruhepause. In dieser Zeit werden die EU und Großbritannien mit Hochdruck daran arbeiten, ein Freihandelsabkommen auf die Füße zu stellen. Doch selbst die größten Optimisten gehen davon aus, dass dieser Prozess Jahre dauern und es nicht möglich sein wird, bereits Ende 2020 ein Abkommen in trockenen Tüchern zu haben. Der deutliche Wahlsieg Johnsons könnte hier sogar zum Hindernis werden. Denn der neue (alte) Premierminister hat zu Hause nun ein klares Mandat für den Brexit – im Notfall auch einen harten Brexit. Er wird sich in Verhandlungen klar positionieren und der EU maximal so weit entgegenkommen wie absolut notwendig.
Zeichnet sich im Verlauf des nächsten Jahres ab, dass eine Einigung auf ein FTA bis Ende 2020 nicht realistisch ist, hat Johnson zwei Möglichkeiten: Er kann entweder eine Verlängerung der Übergangsphase beantragen und seinem Land somit mehr Zeit kaufen, oder er kann eine harte Linie fahren und damit im schlimmsten Fall einen harten Brexit zum Ende des Jahres riskieren. Bislang gehen wir davon aus, dass er ersteren Weg einschlagen wird. Sein überraschend klarer Sieg von heute Nacht wird den Premierminister jedoch in seiner radikalen Haltung in Brexit-Fragen bestärken und das Risiko erhöhen, dass es Ende 2020 doch noch zu einem „No-Deal-Brexit-mit-Ansage“ kommt. Die Euphorie des Pfundes über den Wahlsieg Johnsons dürfte somit von relativ kurzer Dauer sein.